Badal Roy, 1939-2022

Lange nichts mehr gehört von Badal Roy.
Sein letzter Eintrag in der JC-CD-Datenbank (die nicht vollständig ist) datiert von 2006: Mitwirkung auf dem Album „Borrowed Time“ von Steve Khan.
Aber jetzt, wo sein Name aus traurigem Anlass wieder auftaucht, erklingt zugleich auch eine ganze Ära. Sofort ist Miles Davis „On the Corner“ (1972)
wieder da.
Oder „My Goal´s beyond“ (1971) von John McLaughlin, sein Einstieg in die professionelle Jazzwelt; ein Hobbymusiker, plötzlich inmitten von Jazzstars.
Seine Jazzinteresse ward 1963 durch ein Konzert von Duke Ellington in Pakistan geweckt. 1968 zog er von Ost-Pakistan nach New York City, nicht der Musik wegen, sondern um Statistik zu studieren.
Seinen Lebensunterhalt finanzierte er sich als Kellner im „Pak India Curry House“ in Greenwich Village, an Wochenenden trat er mit einem Kollegen an der Sitar als Tablaspieler auf, im „Taste of India“.
Ein Stammgast gesellte sich irgendwann dazu. Nach sechs Monaten des gelegentlichen Jammens lud jener ihn im März 1971 ins Studio ein: zu den Aufnahmen von „My Goal´s beyond“.
Im selben Jahr gastiert Miles Davis im „Village Vanguard“. McLaughlin rät den beiden Studenten, sie sollten sich rasch ein Blocks weiter in die Bleecker Street begeben und Miles vorspielen.
Ja, the rest is history, fast eine Tellerwäschergeschichte des Jazz.
Badal RoyAm 1. Juni 1972 sitzt Badal Roy im Columbia Studio B:
"Es gab keine Probe, und als Miles hereinspazierte, wusste keiner von uns, was er tun sollte. Plötzlich sagt Miles zu mir: 'Du fängst an' - keine Musik, kein Nichts, einfach so. Mir wird klar, dass ich den Groove vorgeben muss, und ich beginne einfach einen TaKaNaTaNaKaTin-Rhythmus zu spielen. Herbie (Hancock) nickt mit dem Kopf im Takt und mit einem 'Yeah!' fängt er an zu spielen. Eine Zeit lang sind wir beide allein, dann kommen John (McLaughlin) und Jack (deJohnette) hinzu.
Dann fangen die anderen an, und es ist das reinste Chaos, zumindest für mich. Ich werde in dem Lärm völlig übertönt. Ich spiele weiter, aber in der nächsten halben Stunde höre ich keinen einzigen Beat, den ich spiele“ (Interview im Telegraph, India).
Roy verlässt das Studio noch irritierter als vor ihm Josef Zawinul (der nach den Sessions zu „Bitches Brew“ rätselte, wie daraus Musik werden könne). Und obwohl er 1972 ein Exemplar von „On the Corner“ erhielt - so geht diese schöne Schnurre weiter vom Tellerwäscher, der Koch wurde  - will er es sich erst 1995 (!) angehört haben.
Mit Begeisterung.
Nachdem sein Sohn daheim die frohe Botschaft aus der Uni verkündet habe: „Alle HipHop-Typen bei uns sampeln es“.
Der Frust über „On the Corner“ hielt ihn freilich nicht ab, dem Lärm bei Miles sich noch für „Big Fun“ und „Get up with it“ auszusetzen.
Und dann ging es erst richtig los für den Tablaspieler, der ein Hobby zum Beruf machte, ohne die strengen Ausbildungs-
routinen der klassischen indischen Tradition bestanden zu haben.
Sein Spiel auf den Tablas klingt einfach gut, im Mix wurde es oft prominent herausgestellt. Und Auftraggeber von Dave Liebman bis Ornette Coleman, von Herbie Mann bis Pharoah Sanders, von Yoko Ono bis Andreas Vollenweider dürften gewusst haben, was sie an ihm hatten.
Nach einem indischen Percussion-Abitur haben sie bestimmt nicht gefragt. Und auf die Frage nach seiner „Authentizität“ dürften sich kontinental abweichende Antworten ergeben (wie es der indische Telegraph nahelegt):
„Den Westen hat er zwar für sich gewonnen, aber bei den Indern ist Badal Roy noch wenig bekannt. Für diejenigen, die Tabla mit klassischer Musik gleichsetzen und deren Ohren auf die scharfen Tukras der Hindustani-Klassik eingestellt sind, würde seine Spielweise - ein grooviger, bassiger Sound - fremd klingen“.
Badal Roy, geboren als Amerendra Roy Choudhury, am 16. Oktober 1939 in Kumilla (Britisch Indien, heute Bangladesch), ist am 18. Januar 2022 in Wilmington/Delaware verstorben. Er wurde 82 Jahre alt. Als Todesursache wird Covid-19 genannt.

Foto: discogs.com
erstellt: 29.01.22

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