Münchner G´schichten der Jazzgeschichtsphilosophie (13)

T.S. Monk, 70, ist ein „schlanker, eleganter Herr“ (SZ).
Das Schlagzeug rührt er nicht mehr an, jedenfalls nicht mehr öffentlich; er ist anderweitig gut ausgelastet.
Er kümmert sich „hauptberuflich“ um den Nachlass seines Vaters, Thelonious Monk (1917-1982). Das umfasst auch die Aktivitäten des Thelonious Monk Institute (Nachwuchsföderung), es organisiert jährlich den World Jazz Day.
Derzeit beschäftigt ihn die Veröffentlichung eines Konzertes des Thelonious Monk Quartet am 27.10.1968 in der Aula der High School in Palo Alto.
Dieser Ort, südlich von San Francisco, beherbergte damals schon die Harvard University, er ist heute das Zentrum von Silicon Valley. Der Ort zerfällt heute wie damals in einen reichen, von Weißen bewohnten West- und in einen armen, von People Of Color bewohnten Ostteil.
An jenem Oktobertag 1968 gelang einem damals 16jährigen Schüler namens Danny Scher, den von ihm verehrten Jazzpianisten nicht nur in seine Highschool im Westen einzuladen, sondern auch Bewohner von East Palo Alto zu einem Besuch zu bewegen.
Das kann man, wie es Andrian Kreye in der SZ (25./26.07.20) tut, als ein positives politisches Zeichen werten, jedenfalls für den Moment.
Schwerlich aber lässt sich daraus ein Gedankengebäude basteln, wonach
„der Jazz - ähnlich wie in den Zeiten der Bürgerrechtsbewegung - jetzt wieder eine gesellschaftliche Rolle spielt, die er lange nicht hatte“.
Einen Beleg liefert Kreye nicht für die beiden Zeitfenster dieser Aussage.
Und als Beleg reichen schlichtweg nicht die jazz-seitigen Behauptungen, man sei Teil der Bewegung gewesen.
Und schon gar nicht kann man Miles Davis in diesem Zusammenhang zu einem politischen Gewicht stilisieren (Monk, der 1964 auf dem Cover des Time Magazine war, „angeblich weil er nicht so politisch war wie die andere Giganten seiner Zeit, Miles Davis etwa, John Coltrane oder Charles Mingus.“)
Über den in dieser Hinsicht völlig Über-, ja Falsch-Eingeschätzten hat Gerald Early alles Notwendige gesagt:
„Miles Davis hat nie über Politik gesprochen, er hat nie auch nur angedeutet, ob er je an einer Wahl teilgenommen hat. Sein einziger Satz war, dass er ´diesen politische Scheiß nicht mag´. Das erklärt auch, warum er sich klar von der Bürgerrechtsbewegung fernhielt, in dieser Haltung  der Auffassung von Ralph Elison verwandt: der Künstler müsse sich auf seine Kunst konzentrieren, nicht auf Politik“ (in seinem nach wie vor lesenswerten Essay „The Art of the Muscle. Miles Davis as an Amerian Knight and American Knave“, 2001).
Wir kehren gleich zu Gerald Early von der Washington State University in St. Louis zurück.
Doch zunächst T.S. Monk, der im Gespräch mit der SZ in geradezu idealtypischer Weise - unfreiwillig - darlegt, worin die politische Wirkungslosigkeit des Jazz und seiner Repräsentanten wurzelt:
„Mein Vater war politisch sehr wach. er musste nur nicht darüber reden. Er konnte das mit seiner Musik ausdrücken. Seine Zuhörer verstanden das. Denn das war ja der Kern des Modern Jazz, die Abstraktion des Widerstandes in ein Vokabular, das kein Außenstehender verstand.“
Wir wollen vorsichtig die Frage stellen, ob seinerzeit unter den „Außenstehenden“ auch jene real-politischen Kämpfer der Bürgerrechtsbewegung sich befanden, die in den „Abstraktionen“ der mit ihnen sympathisierenden Musiker zwar „Widerstand“ erkannten, ästhetischen Widerstand, aber eben keinen politisch nutzbaren.
Zurück zu Gerald Early. Er zeigt sich jetzt dort, wo man lange, eigentlich noch nie einen Jazz-Repräsentanten erlebt hat. In der Arena der politischen Debatten.
Und an seiner Seite - fasten seatbelts! - ein Mann, der in unserer kleinen Welt bis dato als „konservativ“ verschrieen war (um es ganz freundlich auszudrücken), dessen jazz-ästhetischen Konservativismus man grundsätzlich auch für einen politischen Konservativismus gehalten hat - Wynton Marsalis.
Early und His Wyntoness, zwei von 153 Intellektuellen, die in "Harper’s Magazine", "Le Monde", "La Repubblica" und in der ZEIT den liberalen Aufruf „Widerstand darf kein Dogma sein“ unterzeichnet haben.
Man kann von diesem Manifest im Detail halten, was man will. Aber Gerald Early und Wynton Marsalis neben Salman Rushdie, Daniel Kehlmann, Margaret Atwood, Louis Begley, Michael Walzer und und und - das hat was!
Das ist die vielbeschworene Augenhöhe (wenigstens „auf Papier“).

erstellt: 30.07.20
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