Münchner G´schichten der Jazzgeschichtsphilosophie (19)

Die Gründungsstunde des Jazzrock bei Miles Davis?
Die Jazzpolizei dachte, das Thema sei nun wirklich durch.
Die Antwort auf Stammtisch-Niveau: August 1969, Produktion von „Bitches Brew“.
Die Antwort für avancierte Kader: Februar 1969, Produktion von „In a silent Way“.
Die Antwort der Archivare: 15. Mai 1968, Aufnahme von „Country Son“, Miles´ erste Aufnahme mit einer „4/4 ´rock´ section in D“
(wie es in dem ungemein informativen booklet zur CD-Box „Miles Davis Quintet 1965-1968“ von Bob Belden heisst).
„Country Son“ erfuhr die Erstveröffentlichung auf dem Album „Miles in the Sky“.
Man könnte hier auch noch auf „Stuff“ verweisen, aufgenommen zwei Tage später, am 17. Mai 1968:
„This marks Herbie´s (Herbie Hancock) first use of the Fender Rhodes piano, and Ron Carter plays electric bass“.
Sowohl „Country Son“ als auch „Stuff“ sind binär, stehen also der Rock-Rhythmik insoweit nahe (wobei die Bassfigur in „Stuff“ deutlich mehr auf patterns aus Tamla Motown-Ecke sich bezieht).
Sowohl „Country Son“ als auch „Stuff“ waren Episoden in ihrem diskographischen Kontext, von einer Entfaltung des Stiles Jazzrock kann man in der Tat erst in den beiden berühmteren Sessions des Folgejahres sprechen.
Alles falsch, wie uns die hippe Jazzgeschichtsphilosophie im Feuilleton der SZ (03.02.22) belehrt. Zwar habe Miles „zwei Jahre zuvor“ ein „genialisches Doppelalbum aufgenommen…“ (gemeint „Bitches Brew“), aber - fasten seatbelts -:
„Mit ´On the Corner´ war der Jazzrock geboren“.

Mithin im Juni 1972.
Mit einem weiteren time lag erfasst diese spezifisch Münchner Art der Jazzgeschichtsschreibung im selben Atemzug ein weiteres Album:
„Im selben Jahr veröffentlichte Herbie Hancock sein erstes Jazzrockalbum mit dem Titel ´Crossings´“.
Demnach hat die Flaschenpost aus den Wally Heider Recording Studios in San Francisco vom 31. Dezember 1970 die bayrische Hauptstadt bis heute noch nicht erreicht.
Inhalt: Die Tonbänder zum Album „Mwandishi“, darunter das berühmte, binäre vamp im 15/8-Takt von „Ostinato (Suite for Angela)“, gemeint Angela Davis.
Achtung, nicht die Schwester von Miles Davis, über den wir in der selben SZ-Geschichtsstunde auch erfahren (was wir wirklich nicht wussten):
„Fünf Sportwagen besaß Davis damals“.

erstellt: 06.02.22
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