ELEPHANT 9 with TERJE RYPDAL Catching Fire ******
01. I cover The Mountain Top (Storløkken) 02. Dodovoodoo, 03. Psychedelic Backfire, 04. John Tinnick (Hængsle), 05. Fugl Fønix (Storløkken), 06. Skink (Hængsle)

Ståle Storløkken – org, ep, mellotron, Nikolai Hængsle – bg, Torstein Lofthus – dr, Terje Rypdal – g

rec. 20.01.2017
Rune Grammofon RLP 3236

UNIONEN Unionen *******
01. Ståhlbad (Eldh, Nilssen, Storløkken, Johansson), 02. Den Grimme Elling (Storløkken), 03. Ganska Långt Ut På Vänsterkanten (Eldh), 04. 6983 (Nilssen), 05. Tomikron, 06. Unionen, 07. Search Party (Storløkken), 08. Kolgruvan (Eldh, Nilssen, Storløkken, Johansson)

Per "Texas“ Johansson - ts, cl, cbcl, fl, cor anglais (eh), Ståle Storløkken - p, ep, synth, Petter Eldh - b, bg, mpc, Gard Nilssen - dr, ep, Mattias Ståhl - vib (8)

rec. 31.01./01.02.2022
We Jazz Records

Zweimal Jazzrock aus Norwegen. Aber stilistisch gewissermaßen weiter voneinander entfernt, als die um fünf Jahre differierenden Aufnahmedaten vermuten lassen.
Die verbindende Person ist Ståle Storløkken, 55, der auch von Supersilent her renommierte Keyboarder. Auf den Begleitphotos zu „Catching Fire“ schaut er älter aus als real 7 Jahre später auf der Cologne Jazzweek 2024.
Der norwegischen Gitarristenlegende Terje Rypdal, 77, soll er, wie ein Begleitpapier zu „Catching Fire“ verlautbart, bald 30 Jahre als „rechte Hand“ im Studio und auf der Bühne verbunden sein.
2107, im Jahr seines 70. Geburtstages gastiert Rypdal bei einem Konzert in Oslos Nasjonal Jazzscene; das Trio Elephant 9 feiert seinerseits sein Zwanzigjähriges in jenem Jahr.
Der Festredner, sprich: der liner notes Autor, David Fricke aus New York, flippt auftragsgemäß aus: „It’s my new Kick Out the Jams, Pictures at an Exhibition and Between Nothingness and Eternity, all in one“.
Für jüngere Jahrgänge: die Bands, auf die er mit Albumtiteln referiert (MC5, Emerson, Lake & Palmer sowie Mahavishnu Orchestra) stammen aus den späten 60ern und Mitte der 70er Jahre. Das Label will unbedingt noch King Crimson „USA“ (1975) sowie „numerous Pink Floyd 1970 live bootlegs“ hinzugedacht wissen, weil sie von einem ähnlichen „Energieniveau und einem Gefühl von ungezügelter Intensität“ handelten.
Ok, ok, Assoziationen sind frei, sie sind keine Beschreibungen. Am ehesten wird man sich, langsam an Formate heranrobbend, noch auf Emerson, Lake & Palmer einigen können, weil dort zumindest die Besetzung keyb, bg, dr, als verwandt lokalisiert werden kann.
cover elephant9 catching fireSehr Emerson-haft klingt Storløkken stellenweise auf „Dodovoodoo“, obgleich er das Klangpotenzial der Hammond B3 weiter ausreizt und auch dramatischer verfremdet. Ganz zu schweigen vom Fender Rhodes Electric Piano, bei Keith Emerson selten gebräuchlich, das er in feedbacks noch weiter treibt als weiland Dave MacRae bei Nucleus.
Die ELP-Verwandtschaft unterstreicht auch die Rhythmusgruppe - Nikolai Hængsle, bg und Torstein Lofthus, dr -, die einer gewissen Rockästhetik folgt; indem Hængsle seine ostinato-Spuren nicht verlässt und lediglich Lofthus Variations-
räume in Anspruch nehmen kann.
(In einer mehr jazz-orientierten Rhythmusgruppe würde der Bassist ein solches Korsett nicht akzeptieren, sprich: er würde sich wesentlich interaktiver bewegen.)
Der principal soloist, völlig unbestritten, ist Ståle Storløkken, dessen Rolle auch der berühmte Gast nicht schmälert. Das Mitwirken von Terje Rypdal ist nicht gerade spektakulär zu nennen, der Mann hat nicht erst in seinem 70. Lebensjahr den Zenit hinter sich (was seine Bedeutung für die Geschichte des norwegischen Jazz nicht in Frage stellt).
Seine Gastrolle harmoniert durchweg mit der klang-dramaturgischen Nostalgie dieses Projektes; kein Stück ist neu, zwei („ I cover The Mountain Top“ sowie „Dodovoodoo“) stammen aus dem Debut von Elephant 9 in 2007. Und „John Tinnick“ (aus „Walk the Nile“, 2009), ein uptempo shuffle, erklingt in offensichtlicher Anlehnung an das unerreichbare Modell aller uptempo shuffles: „Quadrant 4“ aus Billy Cobhams Debütalbum „Spectrum“, mit dem unvergessenen Gitarristen Tommy Bolin (1951-1976).
Wie gesagt, „Catching Fire“ ist ein Nostalgie-Projekt.
Unionen hingegen - seinem Namen zum Trotz - ist ganz auf die Gegenwart gerichtet. (Ob es seiner Zeit voraus sei, ist bei einer akustischen Kunstform im Zeitpunkt ihres Entstehens prinzipiell unentscheidbar, das wird die Historie erweisen.)
Der Name des Quartetts jedenfalls ist historisch gemeint, bezogen auf die Jahre 1814 bis 1905, als Norwegen und Schweden in Personalunion regiert wurden.
Ein andere als eine komplett nicht-nostalgische Verwendung des Begriffes „Union“ ist schlechterdings undenkbar, höchstgradig plausibel dagegen eine ironische Lesart, inspiriert durch die häufige Präsenz norwegischer und schwedischer Musiker in gemeinsamen Ensembles; aller-allerspätestens angefangen beim europäischen, will heissen: skandinavischen Quartett von Keith Jarrett.
Und wer´s gern geographisch hat: Gard Nilssen (aus Skien/N) und Petter Eldh (aus Göteborg/S) sind über den Skagerrak verbunden, sehr viel mehr aber durch ihre Einsätze als Rhythmusgruppe von Marius Neset (aus Os/N).
Per "Texas“ Johansson wiederum (aus Södertälje/S) ist 2020 vertreten (wie auch Petter Eldh) auf einem Album von Nilssens Supersonic Orchestra mit dem musik-philosophisch höchst-attraktiven Titel „If you listen carefully the music is yours“.
cover unionenDer Einstieg „Ståhlbad“ (was im Schwedischen und Norwegischen dasselbe bedeutet wie im Deutschen) ist vom Titel her irreführend, denn er führt ein moll-warmes, erhabenes 8-Töne-Thema durch eine Reihe von strukturellen Modulationen.
Es ist ein ostinato-Thema, das peu a peu skelettiert wird bis auf einen Solo-Durchgang vom präparierten Piano, begleitet von ein paar kleinen elektro-akustischen Irritationen, sogenannten glitches. Ein klangliches Stahlbad stellt man sich anders vor.
(Immerhin ist hier Petter Eldh mit von der Partie).
Der leitet „Den Grimme Elling“ mit seinem wunderbar schnarrenden Kontrabass ein. Ein hymnisches Thema legt sich über einen slow swing, der unter einem Tenor-saxophon-Solo sich beschleunigt.
„Ganska Långt Ut På Vänsterkanten“ ist, wie beim Konzert auf der Cologne Jazzweek, ein Feature von Johanssons Kontrabassklarinette. Er kostet ihre Sonorität in einem langen, 4-taktigen ostinato aus. Aber es tritt dann in dreieinhalb Minuten auch nicht mehr hinzu. Ein für Petter-Eldh-Verhältnisse eher strukturarmes Stück.
Mit „6983“ folgt … das nächste ostinato. Unionen ist eine ostinato Band.
„6983“ immerhin hat noch Leben in sich. Das ostinato erinnert an den Jazzrock von Nucleus, Storløkken soliert mit seinen verdreht-verzerrten Klängen vom E-Piano.
Und ab dem süffigen Thema in der anmutig tapsenden Ballade „Tomikron“ will dann alles Leben aus dieser Band fahren.
Das klingt alles sehr schön, sehr „transparent“ aufgenommen - aber aus dem Kölner Konzert hatte man einen ganz anderen Eindruck. Mit Sicherheit war das Repertoire anders gereiht, mit Sicherheit waren die Beteiligten von einer größeren Spielfreude beseelt.
Das Album ist zum Zeitpunkt seines Erscheinens 2 Jahre alt; vielleicht haben Unionen es zu früh aufgenommen.
erstellt: 16.10.24
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