PAT METHENY The Unity Sessions ********
CD 1
01. Adagia (Metheny), 02. Sign of the Season, 03. This belongs to you, 04. Roof Dogs, 05. Cherokee (Noble), 06. Genealogy (Metheny), 07. On Day One, 08. Medley: Phase Dance/Minuano/Midwestern Nights/The Sun in Montreal/Omaha Celebration/Antonia/Last Train Home
CD 2
01. Come and See (Metheny), 02. Police People (Ornette Coleman, Metheny), 03. Two Folk Songs (Metheny), 04. Born, 05. Kin (⇐⇒), 06. Rise Up, 07.To get it
Pat Metheny - g, g-synth, orchestrion, electronics, Chris Potter - ss, ts, bcl, fl, g, Ben Williams - b, bg, Antonio Sanchez - dr, cajoon, Giulio Carmassi - p, flh, whistl, synth, voc
rec. 2015
Nonesuch 0075597946888
Manchmal vernimmt man im gewöhnlichen Leben den Rat (und befolgt ihn auch): eine Sache vom Ende her denken (Helmut Kohl-isch gesprochen: entscheidend ist, was hinten herauskommt...).
In der Musik ist diese Praxis verpönt. Obwohl die CD, von mp3 ganz zu schweigen, technisch etwas ganz anderes nahelegt, sollen wir eine Sache immer von vorne anhören, anders wäre sie - Zeitkunst! -, anders wäre die Architektur eines Albums gar nicht zu erfassen.
In diesem Falle aber, wo wir erfahren, Pat Metheny und die Seinen hätten sich nach einer 150-Städte-Tour in ein kleines Theater in New York zurückgezogen, um an zwei Tagen das gut abgehangene Tournee-Repertoire aufzuzeichnen, liegt nahe, sofort zu erfahren zu wollen: womit hat die Unity Band denn die Massen verabschiedet?
Wir starten also mit CD 2, track 6, „Rise up“, 2013 auf dem Album „ Kin (⇐⇒)“ ziemlich am Anfang platziert, unverändert eine 12-Minuten-Suite mit semi-folkloristischem Thema - vorgetragen in einer Verve, dass man vermutlich vor Ort nach nichts anderem dürstet, als selig aus der Halle zu tänzeln.
Was könnte danach noch kommen? Die Zugabe, nach „historischen“ Gepflogenheiten: eine Ballade.
Was folgt hier?
Eine Sägezahn-Gitarre, im nervösen Dialog mit dem Schlagzeug (Antonio Sanchez!), rhythmisch dem FreeJazz nahe. Doch das ist nur verkappte time, die in dem Masse deutlicher Gestalt annimmt, wie Metheny etwas bei ihm Seltenes heraushaut: Bluesrock-Phrasen.
Wir stellen uns vor: in der Halle springen alle von den Sitzen, prasselnder Beifall, das war nun wirklich der ultimative Rausschmeißer.
Hier klingt´s einfach aus, ohne Applaus. Das Konzert, wie live aufgezeichnet, hat keine Zuschauer, vermutlich weil man unter diesen Bedingungen Kameras näher an den Musikern postieren kann (es soll ein Video von diesem „Konzert“ geben.)
Es ist der Abschluss eines großen Abends, man könnte auch sagen: großen Jazz-Kinos, denn eine solche filmische Dramaturgie leistet sich derzeit kein zweites Jazz-Ensemble (Snarky Puppy geht viel zu früh kompositorisch die Puste aus).
Kein zweites Jazz-Ensemble siedelt auch so nah an einer Narration. „The Unity Sessions“ muten an wie der soundtrack zu einem noch nicht gedrehten Melodram. Nur dass seine Vielgestaltigkeit ganz aus der Musik selbst erwächst, ohne jede Verankerung in einer scripted narration.
Sicher, wer Wohlklang sucht, wird ihn hier finden, Kantilenen zuhauf, Pathos ebenso, aber sie sind Bestandteile eines großen Panoramas der Stile & Formen. Zu denen aber auch gehören: FreeJazz („Genealogy“), wenigstens so lange, bis ein Thema a la Ornette Coleman aufscheint.
Ein Standard: „Cherokee“, als ts/g-Duo, ein Shuffle-Marsch („Roof Dogs“), ein 11/8-Groove (das opulente „On Day One“, wiederum aus „Kin“), Balladen.
Und vor allem der Bandleader mit seiner akustischen Gitarre; er beginnt das Ganze in semi-barocker Manier („Adagia), im „Medley“, der die erste Hälfte beschließt, greift er - solo - bis auf sein erstes Album „Bright Size Life“, 1975, zurück, er spannt einen Bogen über 40 Jahre.
Zum Ausdruck kommt die Kontinuität eines großen Stilisten, der das Alte und das Neu bruchlos ineinander fließen lassen kann.
erstellt: 02.06.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten