<trio x 3> New Jazz Meeting Baden-Baden 2002 *********
CD I (live): 1. Differenz/Wiederholung 1.2.1 (Bernhard Lang), 2. dw 1.2 remix Karlsruhe (Trio Jeck/Herbert/Reisinger), 3. dw 1.2 remix tübingen 1.3 (Solo Kurzmann), 4. dw 1.2 remix karlsruhe 3.11 (Nonett, 5. Differenz/Wiederholung 1.2.2. (Lang), 6. dw 1.2 remix Freiburg (Trio Lang/Kurzmann/Reisinger), 7. dw 1.2 remix Freiburg 2.9 und 2.10. (Solo Jeck and Quartet, Jeck/Lacy/Herbert/Reisinger)
CD II (studio): 1. Differenz Wiederholung 1.2.3. (Lang), 2. dw 1.2 remix 11.1 (Trio Lang/Kurzmann/Reisinger), 3. dw 1.2. remix 7.7. (Duo Jeck/Lacy), 4. dw 1.2. remix 8.3 (Quartet Jeck/Herbert/Alavares, Weiss), 5. Differenz/Wiederholung 1.2.4 (Lang), 6. dw 1.2 remix 7.4 (Trio Jeck/Lang/Lacy), 7. dw 1.2 remix 9.1 (Quartet Jeck/Kurzmann/Herbert/Weiss), 8. dw 1.2. remix 11.4 (Trio Lang/Kurzmann/Reisinger)
Steve Lacy - ss, Peter Herbert - b, Wolfgang Reisinger - dr, Marcus Weiss - ss, ts, Philippe Racine - fl, Paulo Alvares - p, Bernhard Lang - electronics, Christof Kurzmann - electronics, Philip Jeck - turntables
rec 2.-8.12.2002
HarmoniaMundi/hatOLOGY 2-607; LC-Nr 6048
Die SWR-Jazzredaktion ist vor einigen Jahren (nach J.E. Berendt, Achim Hebgen, Werner Wunderlich) auf Reinhard Karger übergegangen. Der Personalwechsel in der wohl berühmtesten ARD-Jazzredaktion wurde begleitet von Befürchtungen & Verwunderungen, ward doch als neuer Kurs "Richtung Neue Musik“ ausgegeben.
Wie sich dieser im Radio-Programm niederschlägt, kann hier nicht beurteilt werden, wohl aber sein Widerhall im Tonträger-Markt - und da hat der Doktor Karger mit Importen aus seiner österreichischen Heimat die SWR-Traditionsmarken "Donaueschingen" und "New Jazz Meeting" zum Glänzen gebracht wie lange nicht mehr.
Aus dem Herbst 2002 datiert sowohl Wolfgang Mitterer´s "Fractal/Beat Music" (Donaueschingen) als auch diese Produktion. Weil aus dem Lande "Electronica" sind beide eng verwandt, auch weil an beiden die Frage abperlt: "Ja, ist denn das noch Jazz?" Das ist auch deshalb Jazz, weil Jazzmusiker in beiden Fällen in ihrer typischen Eigenart daran mitwirken. Konfrontiert werden sie mit Vertretern anderer Gattungen. Hier treffen drei Trios aufeinander: aus dem "Jazz" (Lacy, Herbert, Reisinger), aus der "Neuen Musik" (Weiss, Racine, Alvares) sowie aus "Electronica" (Lang, Kurzmann, Jeck).
Die Paarungen - soviel sei vorweggenommen - evozieren auf dem Papier Differenzen, die Ohr & Hirn später nicht bestätigen. Wenn man sich wirklich dem Hören überlässt, und das ist dringend angeraten, muss man sich vom Cover her gelegentlich in Erinnerung rufen, wer eigentlich spielt. Die Idiome vermischen sich dermassen, dass das klingende Resulatat von den drei Gruppen aus verschiedenen Gattungen nichts mehr weiss.
Ausnahme ist die über beide CDs verstreute, viergeteilte Komposition "Differenz/Wiederholung 1.2" von Bernhard Lang. Sie dient zugleich als Grundstock und Ausgangspunkt des gesamten Projektes: Neue Musik, stark rhythmisch akzentuiert, mit allerlei erweiterten Instrumentaltechniken, ausgeführt vom Trio Weiss/Racine/Alvares - genau der Typus Neue Musik, der auch Jazzhörern mundet, denen ein Anthony Braxton nicht fremd ist.
Aus einer früheren Produktion von "Differenz/Wiederholung 1.2" haben die Elektroniker ihre powerbooks gefüttert, bzw Philip Jeck einige dubplates gebrannt. Und los geht´s!
Schon nach der ersten Teilvorstellung der komponierten Grundidee gelingt dem Trio Jeck/Herbert/Reisinger eine Höhepunkt der gesamten Unternehmung. Zu Herbert, dem in New York lebenden Bassisten und vor allem zum Reisinger, Wolfgang müssen wir uns kaum noch äussern - ihre Rhythmusarbeit ist ist ebenso "amtlich" wie variabel. Ein Glücksfall geradezu, wie sie grooves suggerieren, aber niemals wirklich einrasten lassen. Keine "Wiederholung" nirgends. Der Kardinalfehler vieler ähnlicher Projekte, nämlich ihre rhythmische Armut, wird hier vermieden. Hier erklingt das Gegengift zur hinhaltenden Langeweile eines Patrick Pulsinger.
Wer mag, kann hier vielleicht gar eine Verlängerung der Pat Brothers (1986) erkennen - demnäch käme Philip Jeck der Part von Wolfgang Mitterer zu?
So verwegen die These anmutet, es ist etwas dran, vor allem weil Jeck ein Mass an Flexibilität zeigt, das einen staunen lässt: wie macht er das? Er hat doch nur loops auf Platten zur Hand, die er - jedenfalls gemessen am Potential der powerbooks bei den anderen - nur vorsintflutlich verfremden kann. Das ist nicht mehr Philip Jeck, der Knistermann, sondern eine hoch-flexibler Elektroniker - er hat hier seine beste Performance seit Jahren.
<trio x 3> verwendet überwiegend eine Art Lupen-Funktion, indem es das Material überwiegend Teilensembles zur Ausführung überlässt, darunter eine kuriose, gelungene Konfronation von Steve Lacy und Philip Juck. Und wann immer Reisinger und/oder Herbert dazugehören, sind grosse Momente garantiert. Es ist immer noch von unschätzbarem Vorteil, wenn Elektroniker nicht unter sich bleiben, sondern sich auf Instrumentalisten (mit ultra-kurzen Zugriffszeiten) stützen können, die obendrein das Projekt rhythmisch abdichten.
<trio x 3> enthält mit die überzeugendsten Schnittmengen, seit "Jazz" und "Elektronica" sich aufeinanderzubewegen.
©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten