ARVE HENRIKSEN chiaroscuro ******
1. Opening Image (Henriksen), 2. Bird´s Eye-view, 3. Chiaro, 4. Holography, 5. Blue Silk, 6. Parallel Action, 7. Circled Take, 8. Scuro, 9. Time lapse, 10. Ending Image
Arve Henriksen - tp, voc, electronics; Jan Bang - sampling, Audun Kleive - dr, perc
rec ?2004
Rune Grammofon RCD 2037
Bugge Wesseltoft, Nils Petter Molvaer, Supersilent, von der zweiten Reihe ganz zu schweigen - einige Vertreter der norwegischen Jazz-Offensive sind dazu übergegangen, ihren Erfolgsstil zu einer Masche zu verdünnen. Nicht so Arve Henriksen. Er gehört nicht zu den Innovatoren der ersten Stunde, wie ein Blick ins Archiv verblüffenderweise offenbart, seit einem halben Dutzend Jahren erst finden sich discographische Einträge für ihn.
Henriken´s Rolle ist mit "Trompeter" höchst unzureichend beschrieben. Zwar teilt er mit Molvaer die Vorliebe für ätherisch langgezogene Sounds, wie sie auf Jon Hassell verweisen. Aber er hat den Kangraum der Trompete noch ein ganzes Stück weiter geöffnet (oder das Instrument seinem Klang entfremdet, ganz wie man will), indem er es der japanischen shakuhachi Flöte annähert. Mit anderen Worten, er hat dem traditionellen Trompeten-Ton die Einschwing- und Ausschwingphase geraubt, sie gezogen und gedehnt bis zur Kaum-noch-Kenntlichkeit. Ein höchst individueller Personalstil, wie am deutichsten auf "sakuteiki" (2001) dokumentiert ist.
Auf diesem, seinem zweiten Soloalbum wiederholt Henriksen sich nicht, sondern fächert die Entwicklung in zwei parallele Bahnen auf: zum einen in einen Mischklang aus Singen und Trompetespielen, zum anderen in ein reines Vokalisieren (möglicherweise einer Fantasiesprache) einer Knabenstimme. Manchmal, wenn sie von düsteren Orchestersamples bedrängt wird, man man an Kastratengesang in der Oper denken.
Aber dies alles muss man relativieren, eine jede Aussage über die Musik von "chiaroscuro" in Anführungszeichen setzen, weil sie eminent von Andeutungen lebt, vom Ungefähren handelt, ja auch Dinge vorenthält. In den wenigen Momenten, wo Henriksen den besten norwegischen Jazzschlagzeuger, Audun Kleive, überhaupt erklingen lässt, kann dieser keinerlei Groove etablieren, sondern mit bassdrum-Schlägen einen Shuffle-Rhythmus andeuten oder wenig später - höchst spannend - wenige Male die hi-hat auf- und zuschnappen lassen ("bird´s-eye-view"). Viel mehr Audun Kleive ist hier nicht; die Musik schwimmt in Wellenbewegungen einher, mal grösseren, mal kleineren, es knistert und rauscht, schön ambient-al. Mitunter scheint der Magnet Molvaer bedrohlich nahe, aber davon angezogen zu werden, rettet Henriksen, weil er nur in einem Stück überhaupt einen "Beat" emporsteigen lässt und ansonsten diese märchenhafte Knabenstimme dominiert.
Der Einlullfaktor dieser Musik ist so gross nicht, aber mit ein wenig mehr klanglicher Kontrastierung hätte sie mehr noch gewonnen als sie konzeptionell ohnehin schon besitzt.
erstellt: 30.01.05
©Michael Rüsenberg, 2005 Nachdruck verboten