PAT METHENY Day Trip ******

01. Son of Thirteen (Metheny), 02. At last you´re here, 03. Let´s move, 04. Snova, 05. Calvin´s Keys, 06. Is this America? (Katrina 2005), 07. When we were free, 08. Dreaming Trees, 09. The red One, 10. Day Trip

Pat Metheny
- g, g-synth; Christan McBride - b, Antonio Sanchez - dr

rec 10/2005

Warner/Nonesuch7559799561; LC 002086

Eine kurze Netzsuche fördert schon unter den ersten Fundstellen zwei herrlich kontroverse Urteile über dieses Album zu Tage: während gleich zwei Rezensenten auf allaboutjazz.com sich zufrieden, um nicht zusagen: begeistert zeigen, einer gar meint, "Day Trip" rangiere unter Metheny´s Trio-Produktionen gleich hinter der legendären mit
Jaco Pastorius ("Bright Size Life", 1975) - zieht Nick Reynolds auf den Seiten der BBC eine völlig andere Bilanz: "Im Grunde sagt Day Trip nichts, aber das in einem angenehmen Tonfall."
Das Verrückte: Reynolds Verdikt setzt sich fest, würtzt die eigenen Eindrücke, bringt sie in eine Schräglage, die sich schwerlich auffangen lässt. Schon deshalb, weil auch mehrfaches Hören das Urteil über den Rahmen des Erwartbaren nicht hinauskatapultieren will. Reynolds Kritik entzündet sich insbesondere an track 6, "Is this America? (
Katrina 2005)". Ohne diesen Titel ginge dies durch als eine sanft intonierte Ballade mit akustischer Gitarre und gestrichenem Kontrabaß, vollkommen unauffällig.
Der Titel verleiht dem Stück eine - assoziative - Brisanz, die im Material selbst keinen Anker findet: wird hier Scham ausgedrückt, Befremden, vielleicht
Protest? Insofern bemerkt der BBC-Kritiker zu recht: "Der Titel stellt Fragen, die Musik aber nicht. Wenn er (Pat Metheny) etwas über Hurrican Katrina ausdrücken will, dann bleibt es unklar."
Ohne nun eine musik-philosophische Debatte lostreten zu wollen, ob Musik überhaupt "Fragen stellen kann", eröffnet sich hier jedenfalls auf der Ebene des alltäglichen Verstehens ein deutlicher Dissenz. Und von dort ist es ein kurzer Weg zu dem Eindruck, dass hier erneut ein Künstler auf modische - die Gattung erlaubt leider nicht die Zuschreibung "populistische" - Art seinem Publikum sich andienen will, ohne sich über Risiken
& Nebenwirkungen im klaren zu sein.
Die Besetzung jedenfalls ist erklassig. Daß Metheny
Antonio Sanchez, 36, als "DEN Schlagzeuger seiner Generation" bezeichnet - unseren Segen hat er dazu. (Vermutlich hat er das 1999/2000, als Bill Stewart diesen Posten hatte, über jenen auch gesagt). Sanchez spielt anders, aber Stewart war bestimmt nicht schlechter.
Damals wie heute konnte man den Eindruck nicht abweisen, als spiele das Trio nicht wirklich expressiv, sozusagen mit angezogener Handbremse. Was freilich nicht das Entzücken über ein paar Kabinettstückchen übertönen sollte, beispielsweise über den schönen
uptempo swing von "Let´s Move", den jazzrockigen Reggae "The red One" (zuerst veröffentlicht auf John Scofields "I Can see your House from here", 1994), den Wes Montgomery beeinflussten Blues "Calvin´s Keys", die komplexen Formen des Songs "At last you´re here", "der neben dem Intro aus nicht weniger als den vier verschiedenen Formteilen A, B, C und D besteht", wie Wolfgang Kehle in Gitarre & Bass analysiert. Demnach besteht der A-Teil aus 14, der C-Teil aus 13 Takten, Kehle weiter: "Nur ein exzellenter Komponist wie Pat zieht in der gesamten Form einen solch stimmigen Bogen, dass die krummen Taktzahlen beim Hören gar nicht auffallen." Und unsereins möchte ergänzen, dass der 3/4 Takt des Stückes mehrfach auch im Shuffle-Modus ausgeführt wird.
Gleichwohl, bei allen Finessen unter der Wasseroberfläche - es fehlt diesem Projekt der Schub, die Leidenschaft, die Expressivität. Nicht, dass Pat Metheny nichts zu sagen hätte - aber er sagt es, wie so häufig, mit einem zu breiten
Lächeln.

erstellt: 08.02.08

©Michael Rüsenberg, 2008, Alle Rechte vorbehalten