STEFANO BOLLANI Småt Småt *******

1. Norwegian Wood (Lennon, McCartney), 2. La Vita Intensa (Bollani), 3. Mr. O´Malley, 4. Ugly Beauty (Monk), 5. Pierre et le Loup (Prokofiev), 6. Il mare si e fermato (Parente), 7. El Choclo (Villoldo), 8. Danza del Gaucho Matrero (Ginastera), 9. Danza de la Moza Donosa, 10. Giroconlon (Bollani), 11. Social Smoker, 12. La Vita Operosa, 13. Let´s move to Cleveland (Zappa), 14. Trem das onze/Figlio unico (Barbosa, del Turco)

Stefano Bollani - p, acc, voc

rec. 19.-21.5.2003
SunnyMoon/Label Bleu LBLC 6665

Die neue Philharmonie
Essen hat sich schon festgelegt, sie hat Uri Caine als artist in residence für die erste Spielzeit gebucht. Nichts dagegen einzuwenden. Aber wenn dereinst wieder einmal anstehen sollte, einen Jazz-Pianisten einzuführen, der in philharmonischen Kreisen auf Anhieb verstanden und dessen Handwerk ebendort standing ovations verspricht, dann - prego - empfiehlt JNE Maestro Stefano Bollani.

Der 1972 in Mailand geborene Pianist zieht auf seinem zweiten Album viele Register des 20. Jahrhunderts, von Prokofiev (jawohl "Pierre et le Loup" sind unsere herzallerliebsten "Peter und der Wolf") bis Alberto Ginastera, von Monk bis Zappa.

Das Album beginnt mit einem gedämpften Paukenschlag: Bollani liest Lennon/McCartney wie aus dem Buche Debussy und beendet die Lektüre, indem er ein Kapitel minimal music anfügt. "La Vita Intensa" wirkt wie ein Standard aus dem Stride- und Ragtime-Repertoire, ist aber eine Eigenkomposition, die noch dazu tut als ob...
In "Mr. O´Malley" gibt Bollani sich sehr französisch, indem er zusätzlich auch Akkodeon spielt. Aber auch hier tritt ein zweiter Gedanker hinzu, mit einem riff weckt er Assoziationen a la
Chick Corea - die er dann in einem freien parlando auch tatsächlich ausführt.
Und so geht das in einem fort: "Pierre et le Loup" kommt im
Barrelhouse-Stile daher, später folgt dann auch ein "waschechter" Blues ("Giroconlon“) - wenn man einen polyrhythmischen Blues über einem 9/8-Fundament als "waschecht" empfinden mag. Schliesslich Frank Zappa´s "Let´s move to Cleveland", man springt zurück auf track 2 - und erkennt, dass "La Vita Intensa" schon gewissermassen eine Vorwegnahme war, in Bollanis eigenen Worten.

Ja, aber was ist nun seine Sprache, seine
Botschaft?
Ausser, dass das Entzücken sich gar nicht legen will, wie hier jemand das Instrument zu seiner zweiten Natur gemacht hat, weiss man nicht recht zu sagen, was der gute
Stefano uns mitteilen will.
Wir hören einen eleganten, polyglotten Mann Anfang Dreissig, dessen Präsenz betört. Aber wenn er nach den vielen, kurzen Momenten wieder verschwindet, ist nichts hängengeblieben - kein Satz, den man ein drittes, viertes Mal überdenken müsste.

In Christian
Broecking´s Buch "Respekt" erkennen mehrere der afro-amerikanischen Jazz-Veteranen in James Carter den "keeper of the flame", den Fortführer ihrer Tradition. Aber sie mahnen auch an, dass er sich für eine Aussage entscheiden müsse.
Auf eine völlig andere, nämlich europäische Art, ist Stefano Bollani "unser" James Carter.


©Michael Rüsenberg, 2004, Nachdruck verboten