KEN THOMSON Sextet *********
01. Passacaglia Ungherese (Ligeti), 02. Misery is the new Hope (Thomson), 03. Icebreaker, 04. Resolve, 05. Helpless, 06. Turn around, 07. Phantom Vibration Syndrome
Ken Thomson - as, Anna Webber - ts, Russ Johnson - tp, Alan Ferber - tb, Adam Armstrong - b, Daniel Dor - dr
rec. 11./12.01.201
New Focus Recordings pan09
In einer Zeit, in der die physischen Tonträger dem historischen Aus näher rücken (ich weiß, die Vinyl-Afficionados teilen diesen Blick gar nicht), ist das Cover dieser Produktion - freundlich gesagt - antagonistisch, und im Alltag: eine Zumutung.
Es nimmt gut 50 Prozent mehr Umfang ein als eine CD, und dieser materiale Mehraufwand lässt sich auch durch Anforderungen der Gestaltung nicht legitimieren.
Der Cover-Gag käme auch im üblichen CD-Format gut an: ein Leiterwagen, wie man früher gesagt hätte, jedenfalls ein Kindertransportmittel. Man könnte es kennen:
1957 hat sich Thelonious Monk dahineingezwängt, auf dem Cover seines Albums „Monk´s Music“.
Ken Thomson will an Monk anknüpfen. Ken Thomson, der bei Bang On A Can die Baßklarinette spielt, im Debütalbum seines Sextetts aber Altsaxophon.
Er belässt es nicht bei dem visuellen Gag, er geht noch ein Schrittchen weiter.
Monk startet sein Album mit einem Choral („Abide with me“) und lässt es dann krachen (auf dem Album befinden sich lauter Klassiker, „Well you needn´t“, „Ruby my dear“, „Off minor“, „Epistrophy“ und „Crepuscule with Nellie“).
Thomson´s Entsprechung zum Monk-Choral ist „Passacaglia Ungherese“ von György Ligeti, ursprünglich eine Cembalo-Komposition von 1978.
Und da enden auch schon die Verwandtschaften zu Monk, der Rest ist pur Thomson, nicht mal mehr beeinflusst von Monk.
Von der Ausbildung her hat Ken Thomson weitaus mehr mit Ligeti als mit Monk zu tun. Er stammt aus der american new music, er hat Kammermusik komponiert und verlegt, er ist Mitglied in der „Rock´n´Roll Band“ der new music, bei Bang On A Can.
Thomson ist crossover, und sein Sextett ebenso, crossover. Zum Jazz.
Seine Themen sind viel zu sehr staccato, viel zu kontrapunktisch (vor allem Fugen), mitunter auch viel zu minimalistisch, um als Jazz durchzugehen.
Dass die auch für Jazz-Ohren Sinn machen, ja Respekt und Begeisterung hervorrufen, liegt einmal an der Rhythmusgruppe, die vollkommen eindeutig einen Jazz-Job ausführt (den Schlagzeuger Daniel Dor kann man von Avishai Cohen kennen), zum anderen an den Soli, denen nichts fehlt, was Jazz-Expression ausmacht.
Herrschaften, das ist Thirdstream auf engstem Raum, das polyphone Geflecht (sagen wir von „Turn Around“) muss von Komposition und Interpretation erst mal einer nachmachen. Die Fanfaren-riffs in „Phantom Vibration Syndrome“ sind umwerfend.
Auf YouTube erklärt der Bandleader, was er macht und seine sidemen/woman, wie sie es machen.
(Wahnsinn auch, wie Nir Felder in einem anderen YouTube-Video Ken Thomson-Musik vom Blatt spielt.)
Wer sich bei John Hollenbeck eingehört hat, bei Root 70, aber auch bei Amok Amor oder früher beim Meridien Arts Ensemble, der wird hier erneut einen Delikatessenladen betreten.
Einziger Wermutstropfen: dass die Rhythmusgruppe in der Mischung ein wenig unterbelichtet klingt.
Monk würde vor Vergnügen aus seinem Kinderwägelchen fliegen.
erstellt: 03.09.18
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