Improvisateure - an die Arbeit!

Festivalhalle Moers, 14.01., ca 19:25 Uhr: es ist nasskalt draußen und zugig auch noch im Eingangsbereich. Übergabekonzert der Improviser In Residence, Julia Hülsmann (2014) übergibt an Hayden Chisholm, der Eintritt ist frei. Bislang reichte für diesen Akt das kleine Schloßttheater.
Als um 19:30 Uhr die Türen aufgehen, sind die vorhandenen 350 Stühle umgehend besetzt, es müssen weitere aus der Kulisse geholt werden.
Ist das die "Bürgergesellschaft", die Festivalchef Reiner Michalke abseits des Festivals im Auge hat?
Viele Frauen, viele Paare, kaum jemand unter fünfzig, der Auswärtige erfährt, es seien viele Hülsmann-Fans darunter.
Julia Hülsmann beginnt mit einem ihrer Vorgänger, dem Bassisten Achim Tang (2011), vier kurze Momente freien Improvisierend, was sie - die Spezialistin für das jazzmässige Vertonen von Lyrik - von ihm gelernt habe. Vor Moers hat sie noch niemals "frei" gespielt.
Dann kommt ihr Nachfolger, der kosmopolitische Hayden Chisholm. Vier Stücke mit score, zwei von ihr, Auszüge aus dem gemeinsamen Quartett-Auftritt vom letzten Festival, ausgeschmückte Skizzen, zwei von ihm, mit längeren, komplizierten Harmoniefolgen, eines mit Oberton-Intro, gerade am Morgen noch im ICE fertig geworden.
Der Bass liegt noch da.
improv residence 1Da hastet ein Mann auf die Spielfläche, ein jugendlich wirkender um die fünfzig.
Ist das der örtliche Sparkassenchef, der Leiter einer lokalen Kulturinitiative, Ehemann einer der Hülsmann-Fans?
Er gibt sich als Ersatzmann aus: die Aufsichtsvorsitzende der Kultur GmbH verhindert, der Kulturdezernent auch, da müsse er ran.

Der Auswärtige erfährt: das ist Christoph Fleischhauer, 49, der neue Bürgermeister, CDU.
CDU? War das nicht, ist das nicht die Fraktion der erbitterten Moers-Festival-Gegner?
Fleischauer gibt erste Zeichen einer Konversion: er habe zwar wenig verstanden, aber viel empfunden, und - die drei seien doch "Improvisateure oder wie man das nennt", sie müssten jetzt noch mal ran!
Die drei tun, wie geheissen. Und der Auswärtige schmunzelt und fragt, wie diese Konversion wohl weitergehen mag.
Denn die 40.000 Euro, die das schöne Institut des Improviser In Residence kostet, kommen nicht aus dem Stadtsäckel, sondern vom Land (sagt Fleischhauer auch), wohingegen das Festival - auch - die Stadt belastet.
Der Auswärtige meint: mindestens so spannend wie die Amtszeit von Hayden Chisholm wird es sein, das Verhältnis des Stadtoberhauptes zum Moers Festival zu beobachten, nun da er mit Verve sich schon des Vorpostens angenommen hat.
(Foto von Helmut Berns. Danke)

erstellt: 15.01.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten