Gimme´Four im Kernspin

Sechs Jahre nach seiner bahnbrechenden Studie, mit der er den von Musikern so genannten Zustand flow auch hirn-physiologisch nachweisen konnte, hat Charles Limb (zusammen mit vier weiteren WissenschaftlerInnen) erneut Jazzmusiker in die Röhre gelegt.
Elf an der Zahl, in einem halb-offenen Magnetton-Resonanz-Tomografen, der erlaubt, auf den angewinkelten Beinen ein metall-freies keyboard zu bedienen.     
Diesmal freilich ging es nicht um solistisches, sondern erstmals um interaktives Spiel:
die Pianisten mussten sich dem uralten Jazzmodell des Tradin´ Fours unterwerfen, des Solistenwechsels nach jeweils 4 Takten. Ihr jeweiliges Gegenüber saß im Kontrollraum gleichfalls an einem keyboard, entweder Limb oder sein Kollege Gabriel F. Donnay.
Limb-saxDie Ergebnisse dieser Studie werden in der Presse nun gern nach dem Motto dargestellt: „Jazz ist Konversation, wie Hirnscanner zeigen“. Das ist nicht falsch, ebensowenig wie „Musik und Sprache stützen sich auf die gleichen Hinregionen“.
Tatsächlich aber gehen sie - wie gleichfalls lange bekannt - an einem bestimmten Punkt auseinander, bestimmte Regionen sind beim Improvisieren nämlich unter-aktiv, und zwar genau solche für semantisches Erkennen.
Insofern dient die Studie weniger den Zwecken des Jazz als vielmehr der Debatte, ob Musik semantischen Gehalt habe, also etwas bezeichnen könne. Durch diese Studie wachsen die Zweifel daran.
Ein anderes Detail aber verdient viel mehr Aufmerksamkeit: war 2006, bei der Solo-Improv der Musiker deren dorsolateraler präfrontaler Kortex weitgehend ausgeschaltet...zeigt er sich jetzt unerwartet aktiviert.
Limb ist überrascht: „Im Gegensatz zu einer solistischen Improvisation entsteht mehr Erwartung in einer musikalischen Konversation, ob das, was kommt, rhythmisch-melodisch passt zu der voraufgehenden Passage. Das stellt möglicherweise höhere Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis.“
Demnach spielt sich beispielsweise im Kopf von Keith Jarrett etwas anderes ab, wenn er solo spielt als mit Gary Peacock und Jack DeJohnette.
Haben wir´s nicht so schon immer geahnt?

erstellt: 25.02.14
©Michael Rüsenberg, 2013. Alle Rechte vorbehalten