HEINZ SAUER If (Blue) then (Blue) *******

01. All Blues (Miles Davis), 02. Tantricity (Sauer, Kühn), 03. Sophisticated Lady (Ellington), 04. Actors (Sauer, Wollny),05. Lost Silhouettes (Sauer, Kühn), 06. Blue in Green (Miles Davis), 07. Tutatis (Sauer, Wollny), 08. La belle rancune (Sauer, Kühn), 09. Blue and other Notes (Sauer, Wollny), 10. Flamenco Sketches (Miles Davis), 11. Egodeology (Sauer, Wollny), 12. Lover Man (Davis, Ramirez, Sherman), 13. There again (Wollny), 14. In a sentimental Mood (Ellington, Kurtz, Mills), 15. Go from here (Joachim Kühn), 16. Still around Redford (Sauer, Wollny)

Heinz Sauer - ts, Michael Wollny - p, ep (4); Joachim Kühn - p

rec. 22.-24.08.2006
ACT 9493-2; LC 07644

Zwei Alben haben Heinz Sauer, Jahrgang 1932, der Altmeister des deutschen Tenorsaxophons, und sein 46 Jahre jüngerer Partner Michael Wollny veröffentlicht (“Certain Beauty“, 2005 und „Melancholia“, 2004), jetzt gesellt sich Joachim Kühn, Jahrgang 1944, dazu.
Eine Produzenten-Idee. Sauer & Kühn, man glaubt es kaum, haben sich vierzig Jahre aneinander vorbei durch die Szene bewegt und nie zusammengespielt. Kühn & Wollny wiederum haben im vergangenen Jahr ein Album für das Label eingespielt, das jetzt die Schnittmengen ausweitet und damit zusammenführt ... was zusammengehört.
Ohne
freilich ein Trio zu bilden: die Produktion besteht ausschließlich aus wechselnden Duos. (Und man würde gerne erfahren, warum die Trio-Konstellation ausgelassen wurde.)
Bezugspunkt der sehr unterschiedlichen pianistischen Bemühungen dabei ist dieser unnachahmliche Tenorsaxophon-Ton: rauh, „gut abgehangen“ (wie ein Radio-Redaktionsleiter zu sagen pflegt), unverwechselbar gleitend zwischen Wimmern, Klage und Aufschrei (und meist Zwischenstationen, die kein sprachliches Pendant kennen), kraftprotzend, aber ein Nebelhorn im Kammermusiksaal. Denn in puncto Tempo & Dynamik strebt das Repertoire nicht aus dem Rahmen dessen, was durch Balladen vorgezeichnet ist.
Die beiden Pianisten sollten so schwer nicht auseinanderzuhalten sein.
Kühn, der seine schnell perlenden Läufe erkennen läßt, aber sichtlich im Zaume hält, durchaus auch blues-ig aufspielt. Wollny, dem (noch) keine so personifizierte Technik zu Gebote steht, im Zweifel derjenige, der ein größeres Ausdrucksspektrum bemüht, nicht zuletzt durch den Einsatz des Fender Rhodes Pianos (4) oder auch präparierter Piano-Saiten (11).
Vorgabe des Produzenten Siggi Loch war, im 50. Jahr von Miles Davis´ „Kind of Blue“ auf den größten Klassiker der Jazzgeschichte sich zu beziehen. Die drei erfüllen oder entledigen sich der Aufgabe mit der üblichen Nonchalance von Jazzmusikern: sie belassen es dabei, zwei Originale aus jenem Album aufzugreifen („All Blues“ und „Blue in Green“), aber der große Rest läßt sich schwerlich in irgendeine Beziehung zu der vorgegebenen „musikalischen Dichte des Jahrhundertwerkes“ bringen; philologisch vielleicht, aber muskalisch-strukturell keineswegs.
Das muß kein Nachteil sein. „ If (Blue) then (Blue)“ erarbeitet sich genügend Eigenwert, der einer Herleitung von wo auch immer nicht bedarf.
Kritikwürdig ist allenfalls die formale Sorglosigkeit, die gelegentlich bei den Sauer/Kühn-Duos zu Tage tritt. Schon gut, wenn erkennbar durch Improvisation ein markanter Schluß spontan sich findet. Mitunter aber wäre ein Schlußthema oder eine Andeutung dessen auch nicht schecht gewesen.
Stücke, die quasi in der Luft hängen bleiben, gibt es in den Wollny-Teilen nicht - hier zahlt sich jahrelange Erfahrung miteinander auch strukturell aus.
PS: Dreimal nun hat der gute Heinz Sauer - mit Pianist(en) - den Melancholiker gegeben, eine schöne Trilogie ist entstanden - beim nächsten Mal sollte er endlich den Rahmen sprengen.

erstellt: 12.01.10

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