BILL FRISELL Guitar in the Space Age *****



01. Pipeline (Carman, Spickard), 02. Turn, Turn, Turn (Seeger), 03. Messin´ with the Kid (Mel London), 04. Surfer Girl (Brian Wilson), 05. Rumble (Grant, Wray), 06. The shortest Day (Frisell), 07. Rebel Rouser (Duane Eddy, Hazlewood), 08. Baja (Lee Hazlewood), 09. Cannonball Rag (Merle Travis), 10. Tired of waiting for you (Ray Davies), 11. Reflections from the Moon (Speedy West), 12. Bryant´s Boogie (Jimmy Bryant), 13. Lift off (Frisell), 14. Telstar (Meek)



Bill Frisell - g, Greg Leisz - pedal steel, g, Tony Scherr - b, bg, g (7), Kenny Wollesen - dr, perc, vib



rec. ?

Sony/OKeh 88843074612, LC 00288


MEDESKI, SCOFIELD, MARTIN, WOOD Juice ******

01. Sham Time (Eddie Harris), 02. North London (Scofield), 03. Louis the Shoplifter (Billy Martin), 04. Juicy Lucy (Medeski, Scofield, Martin, Wood), 05. I know you (Scofield), 06. Helium (Chris Wood), 07. Light my Fire (Densmore, Krieger, Manzarek, Morrison), 08. Sunshine of your Love (Brown, Bruce, Clapton), 09. Stovetop (Scofield), 10. The Times they are a-changing´ (Dylan)

John Medeski - keyb, John Scofield - g, Billy Martin - dr, perc, Chris Wood - b, bg, Pedrito Martinez - perc (4,9)

rec. ?

Sony/OKeh 88875005012, LC 00288


Bill Frisell und John Scofield sind von Jahrgang 1951, der erste ist 63, letzterer wird es am zweiten Weihnachtstag 2014.
Ein ganzes Album lang war Frisell bei Scofield zu Gast („Grace under Pressure“, 1991). Mitte der 80er gehörten sie eine Zeitlang zu Marc Johnson´s Bass Desires, 9 gemeinsame Studiotermine kann man in beider langer Karriere nachweisen, zuletzt half Frisell Scofield bei der Interpretation eines Gassenhauers ihrer Jugendzeit, „House of the Rising Sun“ (auf „This meets that“, 2007).
Bill Frisell und John Scofield sind peers, man kann ihnen im Großen & Ganzen eine verwandte musikalische Sozialisation unterstellen.
Jetzt erscheinen sie - Zufall oder nicht? - auf demselben Label. Und - Zufall oder nicht? -: beide bringen dort Retro-Alben heraus, die bei anderen ihrer peers (z.B. dem Rezensenten) a lot of dejavu hervorrufen.
cover-frisell-space-ageMusikalische Erfahrungen der Jugend zu verarbeiten, hieß bei Bill Frisell immer schon „autobiographisches Musizieren“; noch nie hat er diese Haltung so manifest gemacht wie auf „Guitar in the Space Age!“.
Gemeint sind die 60er Jahre, kulminierend in Joe Meek´s „Weltraum-Hymne“ „Telstar“, dargeboten durch die Tornados, 1962 (und jazzwise erstmalig aufbereitet durch Bobby Previte 1997 auf „Dangerous Rip“).
Für nicht wenige war das Original damals eine Vorstufe zu den Shadows (die bei Frisell nicht direkt anklingen, wohl aber vermittelt hier und da der Sound von Hank B. Marvin´s Gitarre).
Von John Scofield gibt es kein eigenes Wort in der Sache, aber schon früh (auf „Who´s Who?“, 1979) hat er ein Stück „Beatles“ genannt. Sein Beitrag für Marc Johnson´s Bass Desires „Twister“ (auf „Second Sight“, 1987) war nichts anderes als eine Paraphrase auf „Twist & Shout“, und auf auf dem schon erwähnten „This meets that“ hat er zum Schluss auch noch „I can´t get no Satisfaction“ in die Finger genommen.
So ähnlich die Voraussetzungen dieser beiden Produktionen, die sich auch darin äußern, dass Frisell & Scofield die jeweils klar dominierenden Charaktere sind - so unterschiedlich die Resultate.
cover-juiceWährend Bill Frisell sich nie weit von den Originalen entfernt, verstreut John Scofield die Bestandteile eines der größten Rock-riffs aller Zeiten auf einem 11-Minuten-Reggae-Teppich („Sunshine of your Love“) und lässt sie nie in der richtigen Reihenfolge aufscheinen.
Mehr noch, in „Juicy Lucy“, das sich wie eine Eigenkomposition des Quartetts liest, steckt viel mehr Retro drin, als man ahnt. Im Grunde handelt es sich um einen Medley, der nach dem rhythm changes-Prinzip neue Themen auf alte Strukturen setzt; es geht los mit „Louie Louie“, kippt dann in Les McCann´s „Compared to what“ und dann immer weiter im sixties Flair.
Der Fun Faktor ist enorm, denn obwohl immer nur angedeutet wird, wissen die korrekt eingemessenen Ohren sofort, was gemeint ist.
John Medeski bedient die Breitwand-Ausführung der cheesy organ, die ihm für große Teile dieser Produktion obliegt, in diesem Falle klanglich eine riesige Kirmesorgel, bevor Scofield ein eindrückliches Solo abzieht; eindrücklich, weil er seine Linien blues-artig vokalisiert.
Nämliches wiederholt sich in „Light my Fire“ von den Doors. Medeski nudelt an seiner kleinen Käseorgel, der sixties-Ton ist gekonnt eingefangen und mit flanging satt aufgebrezelt.
Und dann kommt Scofield - und schreit die Essenz des Themas aus den Saiten wie niemand zuvor. wha wha wha wha....

Momenten solcher Expression steht bei Bill Frisell wenig gegenüber. Das „ganz große Kino“, das die FAZ dabei zu hören glaubt, lässt ich schwerlich nachvollziehen, noch weniger der ganz Zeitgeistmüll der 60er (Frisells Interpretation von Duane Eddy´s „Rebel Rouser“ entpuppe sich als ein „dunkles Gebräu aus pubertärer Verwirrung und unausweichlicher Ernüchterung, Liebesschwüre auf dem Rummelplatz, die man schon am nächsten Tag heftig bereut“).
Hier entpuppt sich weniger der Rummelplatz als vielmehr die heiße Luft einer Musikkritik, die Musik beschreibt als lese sie ein Buch.
Gut möglich nämlich, das die vielen, denen mangels entsprechendem Lebensalter die Vorlagen von Frisell & Scofield wenig sagen, auch diese Wiederaufnahmen kalt lassen.
Die besten Momente dieser beiden großen Gitarristen müssen sie woanders suchen.

erstellt: 07.11.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten