CHICK COREA TRIO Trilogy *******



CD 1
01. You´re my everything (Warren, Dixon, Young), 02. Recorda Me (Joe Henderson), 03. The Song is you (Kern, Hammerstein), 04. Work (Monk), 05. My foolish Heart (Washington, Young), 06. Fingerprints (Corea), 07.Spain
CD 2
01. This is new (Gershwin, Weill), 02. Alice in Wonderland (Fain, Hilliard), 03. It could happen to you (Burke, van Heusen), 04. Blue Monk (Monk), 05. Armando´s Rhumba (Corea), 06. Op. 11, NO. 9 (Skriabin), 07. How deep is the Ocean? (Berlin)
CD 3
01. Homage (Corea), 02. Piano Sonata: The Moon , 03. Someday my Prince will come (Churchill, Morey)

Chick Corea - p, Christian McBride - b, Brian Blade - dr
Jorge Pardo - fl (I/5,7), Niño Josele - g (I/5,7), Gayle Moran Corea - voc (3/3)

rec. 2010 + 2012

in-akustik/Concord CJA-35685-02

Chick Corea lässt den ganzen Tastenfirlefanz beiseite und kehrt erneut zu dem Instrument und dem Format zurück, mit dem er ursprünglich reüssierte („Now he sings, now he sobs“, 1968).
Der Schlingel, der er ist, bricht wieder in den liner notes durch: er verabschiedet ein Argument, bringt es aber dann durch die Hintertür wieder herein.
Im ersten Absatz stellt er klar, dass Live-Jazz nicht perfekt sein könne. „Wenn man jedes Mal, wenn man spielt, gewinnt - wird das nicht auf Dauer langweilig?“
Wenige Zeilen später spricht er über die Freude, die Chancen der vielen Stationen und Momente „dieses Spieles“ zweier großer Tourneen jedes Mal wieder neu zusammenzubringen - „in a big win“.
Ja, was denn nun?
Der Artikel schließt - wie üblich - mit einer Verbeugung vor L. Ron Hubbard. Also, alles wie gehabt und nicht so ernst zu nehmen.
Die dringliche Frage, die sich angesichts der Besetzung stellt, ist: wie wird Chick Corea Brian Blade einsetzen? Im Sinne einer fröhlichen De-Konstruktion des Materials, wie es sich Wayne Shorter mit Blade erlaubt? Oder in der üblichen Funktion eines Schlagzeugers?
Die Frage ist beinahe eine rhetorische, denn da der inzwischen 73jährige nicht zum Infragestellen von Strukturen neigt, zumindest in den letzten vier Jahrzehnten nicht, bleibt als Antwort nur die zweite übrig.
Das muss kein Nachteil sein. Denn Brian Blade hat während der knapp dreieinhalb Stunden Quersumme aus zwei Welttourneen im Herbst 2010 und 2012 ausreichend Gelegenheit, seine Eigenheiten - wenn auch nicht alle - zu Gehör zu bringen.
Das Repertoire besteht aus eigenen Klassikern und Standards, insoweit schon anders als das Trio, das man zum Vergleich einfach heranziehen muss, das von Keith Jarrett. Im Gegensatz zu seinem Kollegen neigt Chick Corea auch kaum zu „Grübeleien“ in der Tonfolge, er ist ein viel größerer Patternspieler - aber, immerhin, es sind seine eigenen Muster & Phrasen, die er da mit einer großen Geläufigkeit ausstreut.
Obwohl wir nicht wissen, wie die Tourneen damals insgesamt verlaufen sind, scheint sich das Trio  im Dezember 2012 in Spanien besonders gut gefühlt zu haben. Fast die gesamte erste CD handelt davon.
cover-corea-trilogySie beginnt relativ verhalten mit „You´re my everything“ in Oakland, in Cartagena/Spanien am 1.12.12 steigt die Temperatur deutlich durch eine funkelnde Interpretation des Joe Henderson-Klassikers „Recorda me“.
Überspringen wir Antalya/Türkei am 28.11.12 und kommen zu dem wogenden Groove von Monk´s „Work“, ein ideales Sprungbrett für Brian Blade gegen den walking bass von Christian McBride.
„Work“ ist am 2.12.12 in Madrid entstanden - und der Rest auch.
Darunter ein wunderbar virtuoses Remake von Wayne Shorter´s „Footprints“, hier „Fingerprints“ genannt, gleichfalls in Bluesform. Und dazu in einer Rhythmik, die zwischen binär/spanisch und ternär/swingend umherspringt.
Ein 10-Minuten-Parforce-Ritt, der die Leute von den Stühlen reißt - die sie während der anschließenden 18 Minuten eh nicht benötigen.
Eingeleitet von der akustischen Gitarre Niño Josele´s dürfen sie später auch teilnehmen. Nachdem die Soli durch sind (inklusive der Flöte von Jorge Pardo), darunter auch Brian Blade (der hier eher den Steve Gadd gibt), stehen für die letzten drei Minuten die Saalmikrofone offen - call & response mit Señor Corea am Piano. This Song is for You. Das würde Mr. Jarrett sich und den seinen nie erlauben.
CD 2 beginnt wieder in Oakland - aber in einer ganz anderen Temperatur, mit einem ungemein swingenden „This is new“ von Ira Gershwin und Kurt Weill, das das rhythmische Flackern, das das ganze Stück durchzieht, in einer binären Coda noch einmal richtig aufflammen lässt.
„Blue Monk“, aufgenommen im November 2012 in Zürich, stolziert als fetter Shuffle einher, „Armando´s Rhumba“, zwei Tage vorher in Slovenien, wie zu erwarten als Samba. Und das Piano-Prelude Op.11, No.9 von Alexander Skriabin, nach langem Piano-Intro, gleichermaßen in leichtem Rock- und Latin-Feeling.
Mit CD 3 gerät diese bis dato sehr unterhaltsame Produktion auf die schiefe Bahn. „Piano Sonata: The Moon“ ist der misslungene Versuch, große Kunst zu inszenieren; die eher offene Form ist weniger das Metier dieses Trios, auch das unterscheidet es von Keith Jarrett und insbesondere von Wayne Shorter.
Zum Abschluß („Someday my Prince will come“) singt Frau Corea. Waitaminute! Sie intoniert gar nicht schlecht, aber ohne familiären Bonus geriete sie wohl nie in diesen Kontext.

erstellt: 16.09.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten