BOX BLOCKS Live at Porgy & Bess *******

01. first (Ducret, Kollreider, Mitterer, Pirker), 02. second, 03. third, 04. fourth, 05. fifth, 06. sixth

Marc Ducret - g, Peter Kollreider - electronics, Wolfgang Mitterer - keyb, electronics, Herbert Pirker - dr

rec. 30.11.2012
Col Legno 30008_01_000_Q1
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Fast schon vergessen, dass die Elektro-Akustik im Jazz bei Wolfgang Mitterer in besten Händen liegt. Seit Jahrzehnten, seit 1985. Da sitzt er an der Orgel in der Kirche seines Geburtsortes Lienz/Tirol, Wolfgang Puschnig unten im Kirchenraum, und die Elektronik tönt fix und fertig von einer großen Bandmaschine.
Ein Jahr später, 1986, bei den „Pat Brothers No. 1“, waren schon kleine Zugriffe auf einen Sampler vom keyboard möglich, unvergessen, wie er lauter Elektronikwürmer in die stop times des Blues „Red Top“ schießt.
Dann der erregende Auftritt in Donaueschingen 2002, wo Mitterer mit gleich drei weiteren Elektronikern drei Instrumentalisten gegenübersteht.
In gewisser Hinsicht knüpft dieser Mitschnitt aus dem „Porgy & Bess“ in Wien daran an. Die Konstellation ist hier zwei und zwei, aber der Gedanke einer hochverdichteten Kollektivimprovisation führt auch hier Regie.
Die Informationsdichte ist weitaus höher, was vor allem daran liegt, dass hier mit lediglich 25 Minuten der Extrakt eines Konzertes vorliegt, sozusagen die besten, die dichtesten Momente und nicht ein Dokument über seinen gesamten Verlauf.
cover-box blocksDas Tempo ist mörderisch, das krasse Gegenteil zu dem Wabermantel, in den sich manche deutsche Kollegen dieses Teams erst einmal hüllen, um in Ruhe auszuprobieren, was geht und was nicht.
Diese drei Österreicher und ihr französischer Kollege (Marc Ducret) wissen sofort, was sie wollen - und sie haben´s auch parat.
Sie rasen davon in einer Klangfetzen-Ästhetik, befeuert von einer Rhythmik, die immer wieder drum´n´bass-Patterns aufwirbelt.
Diese Saat aus der Popmusik (und manche wollen Vorformen ja bei Miles Davis gehört haben) trägt im Jazz immer noch Früchte, vor allem wenn sie von einem Könner wie Herbert Pirker gewässert wird.
Erst mit „fourth“ kehrt eine gewisse „Ruhe“ ein, ein ternärer 4/4-Takt ist zu erkennen, wo Pirker snare-drum-Betonungen um die „3“ wandern lässt, bevor das Stück von einem Sequencer-Wurm wieder auf Linie gebracht wird.
Ein Wunder, wie Marc Ducret in diesem Inferno ohne harmonischen Background so eigenständig formulieren kann.
Und hier setzt, bei allem Respekt für das Handwerk, die Kritik ein: der Zuhörer kommt kaum zum Luftholen, er würde aus den Höhen gerne hier und da herabsteigen und in weniger Informationsdichte einzelnen Klängen nachlauschen.
Andererseits, der Gipfelsturm kostet ganze 5 Euro!

erstellt: 30.08.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten