VERTIGO TROMBONE QUARTET Developing Good Habits *******

01. Developing good Habits (Wogram), 02. Noir, 03. Yearning for the Provincem ,04. Einstieg (Bamert), 05. Wichtigtuer-Schmonzette,  06. Düdletüde, 07. Klagelied, 08. Unterhaltungsstück, 09. Ausstieg, 10. Let´s Dance (Wogram), 11. Filterkaffee (Schreiner), 12. Unknowing Professor (Wogram), 13. Breschdlengsgseltz (Schreiner), 14. Patience (Wogram)

Nils Wogram - tb, melodica (10), Andreas Tschopp - tb, rec (12), Bernhard Bamert - tb, Jan Schreiner - btb, tuba

rec. 26.+27.09.2013
Nwog Records 009, LC 1366


Nachdem uns in den letzten Monaten vier Basssaxophone (Deep Schrott) sowie vier Kontrabässe (Basz) angesprungen sind, können uns vier Posaunen kaum noch etwas anhaben. 
Zumal uns das Motto ihrer Unternehmung sehr entgegen kommt:
"gute Gewohnheiten entwickeln".
Das Vertigo Trombone Quartet hat aus den schlechten Gewohnheiten anderer Posaunen Quartette gelernt, "deren künstlerisches Level (...) oft sehr niedrig ist", wie Nils Wogram sagt: "Meist geht es nur darum zu zeigen, was sie auf der Posaune alles spielen können."
Die Spielluft um- und fehlzuleiten, wie es die Gepflogenheiten der  Avantgarde fordern, was verlässlich in nicht-abendfüllender Kunstfurzerei mündet, ist hier nicht zu erwarten.
Zu den guten Gepflogenheiten von Vertigo gehört nämlich auch die Abkehr von einem schrankenlosen Individualismus, "uns ging es mehr um einen echten Ensemblesound" (Wogram).
Allerdings glauben wir keinen Moment, was der Promotext zu dieser Produktion - pardon - ausposaunt ("Kein anderes Musikinstrument weist eine derart starke Ähnlichkeit zur menschlichen Stimme auf wie die Posaune". Wir sehen Gitarristen und Violinisten sich schütteln…).
Posaunisten-Latein ist das, Mutmache, auf dass kein Hörer fürchte, er würde von den vier überfallen.
Cover-Wogram-VertigoUnd sie beginnen auch ganz lieb, indem sie im Titelstück einen von ihnen abstellen, auf seiner Posaune einen Rhythmus zu zischeln, über den die anderen solistisch und kollektiv die erste Lektion dieses Projektes ausbreiten: Ensemblesound!
Ja, wer hätte im Ernst gedacht, wie saugut vier Posaunen zusammen tönen?
Später, in track 9 („Ausstieg“), den sie wiederum mit einer Rhythmusfigur einleiten (spanisch gefärbten handclaps) werden sie den Ensembleklang dermaßen zum Jubilieren bringen, dass man gar nicht mehr anders kann als auszurufen:
„Wahnsinn! Vier Posaunen!“
Track 2, „Noir“, erklingt insofern (jazz)verwandt zu 1, als hier einer einen walking bass vorgibt und die anderen in dunklen Farben a la Ellington malen. Das blues-ige Solo passt ins Bild, und erst unter einem zweiten Solo vermitteln die vier die Einsicht, dass die Posaune keine Tasten hat, vulgo: stufenlos durch den Tontraum gleiten kann („glissando“).
„Yearning for the Province“ schaut aus dem Jazz heraus, ohne ihn zu verlassen: das Bühnenbild hier wird von Mustern der Minimal Music bestimmt, das Solo dürfte von der Bass-Posaune Jan Schreiners stammen.
Er, geboren 1984 in Stuttgart, wohnhaft in Köln, stellt neben dem Wahl-Schweizer Nils Wogram die deutsche Hälfte dieses Ensembles.
Andreas Tschopp, geboren 1979 in Zürich, und Bernhard Bamert, geboren 1970 in Wettingen/CH, in Zürich lebend, sind die Eidgenossen darin.
Dass track 4 „Einstieg“ heisst, ist durchaus nicht komisch, denn damit beginnt eine ganze Strecke, komponiert von Bamert (bis track 9 „Ausstieg“), die durchaus von anderer Handschrift geprägt ist.
Sie belegt klingend, was Wogram so beschreibt: „Bernhard (Bammert) ist viel mehr auf der Seite der E-Musik, ich habe eher Stücke im Sinne des Jazz geschrieben...“
Der „Einstieg“ enthält zum ersten Male die Technik der Flatterzunge, in der folkloristisch-auftrumpfenden „Wichtigtuer-Schmonzette“ beginnt die Tuba leicht zu furzen - aber es stinkt nicht, es bleibt im Rahmen eines durch und durch hoch-unterhaltsamen Programmes, dass auch andere avanciderte Instrumental-Techniken wie multiphonics nicht mit großer Geste herausstellt, sondern eng verschweißt, wie gesagt: „Ensemblesound“.
Das ist hier nicht Ideologie, sondern Takt für Takt realisiert.
Selbst wenn „Let´s Dance“ mit einem Kanon aus der Bamert-Strecke herausführt, ist sogleich klar, dass hier ein anderer Komponist führt, nämlich Nils Wogram. In diesem Stück setzt er auch die von ihm in allen seinen Projekten verwandte Melodica - kurz - ein.
Wer auch immer als „nicht-wissender Professor“ tituliert sein mag: Wogram hat ihm kurz vor Schluß noch eine fantasiereiche Suite spendiert; sie beginnt mit mouth percussion, lässt eine Posaune gegen dröhnende Blechkerle kämpfen und schließt mit einem herrlich-vertrackten Thema in bester Root 70-Manier. Ach ja, zu Beginn betritt Tschopp´s „unschuldige“ Blockfläte den Raum und hält bei nämlichem Thema ganz schön mit.
Mit dem Schlußstück könnte sich Vertigo bei einem Evangelischen Kirchentag bewerben, selbst die avancierten Spieltechniken (hier Lüften der Instrumente ohne Instrumentalklang) ist so wohl-dosiert, dass es keine Halstuchträgerin verschrecken dürfte.
Auch in unseren Kreisen sind sie mit einem zweiten Album herzlich willkommen, sie düften sogar spieltechnisch noch ein wenig mehr die Sau ´rauslassen.


erstellt: 23.04.14
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