OLAF LIND QUARTET Drift *******

01. Drift King (Stefan K. Schmid), 02. Alleine einschlafen (Marcel Richard), 03. The Hedgehog (Stefan K. Schmid), 04. Ein Kopf auf dem Regal (Marcel Richard), 05. Die Tür muss zu, 06. AJ (Stefan K. Schmid), 07. Der kleine Kobold Rotzepuh (Marcel Richard),  08. Alura (Leonhard Huhn), 09. Foolish Mind (Stefan K. Schmid), 10. Floating, 11. Sie ist krank (Marcel Richard)

Leonhard Huhn - ss, as, cl, Stefan Karl Schmid - ss, ts, cl, bcl, Marcel Richard - b, Rafael Calman - dr, perc
   
  
rec 21.+ 22.05.10, track 11 06.07.09
Jazzhaus Musik JHM 202; LC 09632

Diese Band firmierte früher als Richard 4. Unter dieser Bezeichnung hat sie am 17.11.09 im Loft, Köln, ein bemerkenswertes Konzert für den WDR eingespielt.
In der Zwischenzeit hat sie zwar den Namen, nicht aber Besetzung oder Richtung geändert. Sie firmiert nun, wie auch das Cover belegt, unter Anwendung einer Art Anagram ihrer Mitglieder als Olaf Lind Quartet.
Die Qualität dieses Ensembles darf man ohne Umschweife der Ausbildung an deutschen Hochschulen zuschreiben. Die Rafinesse der Tonbildung der Bläser, die Kultur des Zusammenspiels, die stilistische Ausprägung dieses Neo Cool Jazz, sie sind schwerlich von Autodidakten zu erwarten, ohne umfassende Schulung und Orientierung an dem, was ist und was war.
Man könnte die Combo auch „Root 80“ nennen, mit 31 Jahren ist der Ex-Namensgeber Marcel Richard das älteste Mitglied, alle anderen sind knapp bzw unter dreißig, alle haben an der Musikhochschule Köln studiert, teilweise auch zusätzlich in Essen bzw. New York; alle sind Stipendiaten der Yehudi Menuhin-Stiftung.
cover-lind„Drift King“, der Einstieg des deutsch-isländischen Saxophonisten Stefan Karl Schmid, könnte schöner nicht sein: die Bläser werden rhythmisch wie in kurzem Echo miteinander verschränkt, eine Stimme bleibt gleich, die andere flattert rauf und runter (die beiden werden später noch etliche andere Varianten durchspielen), der Beat ist offen binär, er wird später - wie die Tonalität - aufgerieben.
Der Wechselspiel zwischen Sopran und Tenor in der rubato Ballade „Ein Kopf auf dem Regal“ ist delikat, Schmid pflegt einen Ton, der ihn viel älter/erfahrener erklingen lässt.
Die Ruhe und Abgeklärtheit von „Die Tür muss zu“ liefert das letzte Indiz für die Vermutung, dass wir es hier mit einer Art Neo Cool oder Neo Westcoast Jazz zu tun haben. Andere Musiker ihres Alters würden die geringe Bewegung des Stückes in Trägheit umkippen lassen, aber die vier lassen das Thema kreisen, führen die Bläser an einer Stelle auf den Abstand einer hauchdünnen Dissonanz zusammen.
Danach kann nur die Post abgehen, und „AJ“ ist denn auch der erlösende fast swing.In „Alura“ kommt warmes Holz ins Spiel, gleichfalls in „Foolish Mind“.
„Floating“ würde jeden Evangelischen Kirchentag in Rührung bringen: das Thema teilt die ersten vier Noten mit „O Haupt voll Blut und Wunden“. Auch die wundervollen Dissonanzen würde man dort billigend in Kauf nehmen für den Fluß dieser schließlich leicht rockenden, trockenen Ballade. Live kitzeln sie das noch ein wenig mehr heraus.
Das beste Ensemble-Debüt aus Köln seit dem Pablo Held Trio.

erstellt: 09.12.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten