RICARDO VILLALOBOS, MAX LODERBAUER Re: ECM *****

CD 1:
01. Reblop (Wallumrød/Villalobos/Loderbauer), 02. Recat (Wallumrød/Villalobos/Loderbauer), 03. Resvete (Knafel, arr: illalobos/Loderbauer), 04. Retimeless ((Abercrombie/Villalobos/Loderbauer), 05. Remergende (Vitous/Villalobos/Loderbauer), 06. Reblazhenstva (Kanifel, arr: Villalobos/Loderbauer), 07. Reannounce (Sclavis/Villalobos/Loderbauer), 08. Recurrence (Brederode, arr: Villalobos/Loderbauer), 09. Requote (Wallumrød/Villalobos/Loderbauer)
CD 2:

01. Reblob (Wallumrød/Villalobos/Loderbauer), 02. Reshadub ((Giger/Villalobos/Loderbauer), 03. Rebird (Motian/Villalobos/Loderbauer), 04. Retikhiy (Knaifel, arr: Villalobos/Loderbauer) 05. Rekondakion (Pärt, arr: Villalobos/Loderbauer), 06. Rensenada (Maupin/Villalobos/Loderbauer), 07. Resole (Knaifel, arr: Villalobos/Loderbauer), 08. Redetach (Wallumrød/Orning/Henriksen/LarsenVillalobos/Loderbauer)


Ricardo Villalobos - electronicis, Max Loderbauer - electronics

rec. 2009
ECM 2211/12; LC-Nr 02516

Als vor einigen Jahren die Remix-Welle auch vor die Füsse von Klaus Doldinger schwappte, da setzte dieser sich in gut-sozialdemokratischer Manier (so jedenfalls bezeichnet diese Taktik einer, der sie oft genug erlebt hat) an die Spitze einer Bewegung, die er nicht aufhalten konnte: Doldinger erteilte seine Zusage, behielt aber die Kontrolle über die Veröffentllichung.
Nicht anders Manfred Eicher, der Produzent und Chef von ECM. Im Herbst 2009 besuchte er das Duo Villalobos/Loderauer bei seinen Arbeiten im Studio in Berlin und später überwachte er das Mastering dieser Doppel-CD.
Nicht anders - und doch ganz anders, denn die künstlerische Freiheit der beiden technophilen Künstler ist fraglos größer. Eicher stellte ihnen den gesamten ECM-Katalog zur Verfügung, ja er liess sie sogar im Allerheiligsten gewähren, in den Klangspuren von Arvo Pärt. (Wer den hyper-empfindsamen Esten in der Film-Doku über ECM erlebt hat, der bekommt eine Ahnung, was das bedeutet).
Wir müssen gestehen, eine solche Freigabe hätten wir nie und nimmer erwartet. Es mag dazu beigetragen haben, dass Ricardo Villalobos, der Chilene in Berlin, seine vita entsprechend legitimiert. Er soll demzufolge früher schon Arvo Pärts „Tabula Rasa“ und auch Musik von Alexander Knaifel vom DJ-Pult aus unter die Tanzköfer gestreut und auch ansonsten Bewunderung für die Arbeit Eichers geäußert haben.
Und so schwadronieren die beiden denn auch in den liner notes in einem Tonfall über „Frequenz“, „Raum“, „Improvisation“, „Schnittmenge“, „Club“ und „Einklang“, als gehörten sie schon immer zur ECM-Familie und seien nicht im Berliner „Berghain“ zu Hause.
Manche Überlegungen darunter sind keineswegs uninteressant, sie geben - wenn auch reichlich verblümt - Aufschluß über die unterschiedlichen Klangwelten, die sich hier begegnen. Und wer sich noch nie mit der Klangästhetik von Techno & Co. beschäftigt hat, mag hier durchaus etwas lernen. Es muß ja nicht gerade der in einer uferlosen Vieldeutigkeit sich verlierende Schlußsatz sein: „Das Wichtigste ist, dass die beiden Welten in Einklang gebracht werden, ohne dass sie sich gegenseitig auszuschalten trachten, dann man beide - die organische und die elektronische - in der Waage hält.“
Hundert Hörer werden diese Absichtserklärung auf hundert verschiedene Weisen verstehen. Und diejenigen darunter, die das „gegenseitige Ausschalten“, zumindest gelegentlich, gar nicht so schlecht fänden (es kommt ja niemand zu Tode dabei, würde Jack Lang einwerfen), weil die Reibungshitze aus einer akustischen Konfrontation dem Hörapparat doch sehr nahrhaftes Futter liefert - die kommen hier des öfteren nicht auf ihre Kosten.
cover-re-ecmVillalobos & Loderbauer sind keine Remixer im Sinne des Sampling.
Sie haben sich nur solcher ECM-Produktionen bedient, wo „Instrumente/Stimmen, Chöre, Atmosphären alleine im Raum stehen“. Sie bilden daraus - auch - Loops, aber im wesentlichen besteht ihr Anteil darin, per Mischpult und Synthesizer den ECM-Klangfragmenten eigene Strukturen beizumengen.
Das gelingt unterschiedlich. Dort am wenigsten, wo sie weder aus den Originalen noch in ihren eigenen Beimengungen einen Beat beziehen. Große Drone-Experten, das zeigt sich in diesen nicht selten langweiligen Momenten, sind die beiden offenkundig nicht. Manche Stücke sind in ihrer Bearbeitung auch nicht wiederzuerkennen. Das ist an sich nicht tragisch, ein Künstler wie John Wall lebt von den Mikro-Strukturen fremder Aufnahmen, nach deren Herkunft kein Mensch mehr fragt angesichts der Opulenz von Walls Manipulationen. Aber wenn die Referenzen schon inklusive Katalognummer aufgelistet werden, dann möchte man bitte schön auch einen Bezug erkennen dürfen. So steht, krassester Fall, „Retimeless“ völlig quer zu jeder Erinnerung an „Timeless“, ein frühes Juwel von 1974 aus dem ECM-Katalog, mit John Abercrombie, Jan Hammer, Jack DeJohnette. Man weiß nicht, was das Gegrummel damit zu tun haben könnte.
Die genre-typischen Mittel kommen zum Einsatz: glitches (Störklänge), spratzende break beats und supertiefe Bässe ohne erkennbaren Groove. Erhalten bleibt freilich, und dies Techno-untypisch, die große Dynamik der ECM-Klangwelt, auf Kompression (Verengung des dynamischen Spektrums, laut und leise rücken einander näher) wurde verzichtet.
„Re: ECM“ hat durchaus seine Momente: immer da, wo Villalobos & Loderbauer, entweder aus den Originalen oder aus ihren eigenen Maschinen einen Beat destillieren. Gleich das zweite Stück ist ein Höhepunkt: über einem durchaus swingenden back beat kommt - wie weiland Netzer aus der Tiefe des Raumes - ein verzerrter Piano-Ohrwurm von Christian Wallumrød heran und mäandert durch den Raum. Ähnliches ist bei einer weiteren Wallumrød-Vorlage gelungen („Redetach“), bei Paul Giger („Resdahub“) und, ja, auch bei einem Oldie wie Bennie Maupin, wo durchaus so etwas wie ein Techno-rubato erklingt.
Alles in allem sicher viel mehr Hör-Musik als Tanzmusik, mit Durststrecken. Vielleicht sind solcherlei Klang-Unternehmungen bei Techno in den falschen Händen, vielleicht fiele anderen aus anderen elektronischen Fraktionen mehr dazu ein.

erstellt: 07.07.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten