JOHN SCOFIELD Piety Street ***

01. That´s enough (Dorothy Love Coates), 02.Motherless Child (trad), 03.It´s a big Army (Scofield), 04. His Eye is on the Sparrow (Martin, Gabriel), 05. Something´s got a hold on me (Rev. James Cleveland), 06. The old Ship of Zion ( Thomas A. Dorsey), 07. 99 and a Half (Coates), 08. Just a little While to stay here (Eugene Bartlett), 09. Never turn back (Dorsey), 10. Walk with me (trad), 11. But I like the Message (Scofield), 12. The Angel of Death (Hank Williams), 13. I´ll fly away (Brumley)

John Scofield - g, John Cleary - p, org, voc; George Porter jr. - bg, Ricky Fataar, Shannon Powell - dr, John Boutee - voc

rec. ?2008
Universal/Emarcy 0602517911369; LC-Nr 00699

"Seit Ewigkeiten schon", sagt John Scofield, "wollte ich ein Blues-Projekt durchziehen". Der Gitarrist, der immerhin an der Seite eines Jay McShann seine Karriere begann, fühlt sich wieder stärker zum Blues hingezogen. "Da ich mich aber nicht auf den zwölftaktigen Standard-Blues beschränken wollte, schaute ich mich nach anderen Inspirationsquellen um: und die fand ich bei der ´gute alten´ Gospel-Musik - die ist der nächste Verwandte und unmittelbare Vorläufer des Rhythm´n´Blues, den wir alle lieben."
Man mag diese Erklärung für plausibel halten - oder auch nicht, immerhin hat John Scofield immer mal wieder Blues-Raketen gezündet (beispielsweise "
Love in Blues"). Und man wäre, vorausgesetzt man hat das richtige Personal, mit einer solchen Entscheidung auch an keinen spezifischen Ort gebunden. Mit der Wahl "New Orleans" aber (dort befinden sich die gleichnamigen Piety Street Studios) gibt Scofield seinem Unternehmen ein bestimmtes Vorzeichen, vor allem da seine Begleiter dezidiert Vertreter des New Orleans-Stiles sind, George Porter jr. war z. B. Mitbegründer der Meters.
Gospel aus New Orleans Perspektive - das wäre eine Aufgabe gewesen. John Scofield hat sich ihr gestellt, sie aus eigener Wahrnehmung heraus sicher auch bewältigt; in zahlreichen Statements spricht er davon, was er an den teilweise historischen Vorlagen wo und wie geändert, dass er sie auf seine Weise interpretiert hat - nebbich, das ist ja wohl die Mindest-Voraussetzung, unter der wir uns einem Künstler dieses Ranges überhaupt zuwenden.
Aber entspricht "Piety Street" seinem Rang?
Die Malaise dieser Produktion offenbart sich bereits im zweiten track: eines der größten Gospel-Lieder, "Sometimes I feel like a motherless Child", für die einem jedem dramatische Interpretationen einfallen, es stakst als
walkin´funk einher. Und würde es nicht von diesen ganz typischen Gitarren-Linien a la Scofield eingefärbt und urplötzlich mit einer Reggae-Coda schließen - es rauschte als Dutzendware vorbei.
"Its a big Army" ist eine Paraphrase von Scofield auf "When the Saints..." und humpelt fröhlich einher, gleichfalls ohne jede Emphase, wie man sie bei einer Zeile wie "I´m a soldier in the Army of the Lord" geradezu zwingend erwarten kann.
Mit track 5, "Something´s got a Hold on me", will sich endlich ein Hauch von afro-amerikanischem Groove einstellen: wenigstens für einen Moment verabschiedet sich dieses happy-go-lucky-Schlagzeug zugunsten von gut placierten handclaps. Und doch ist dies Meilen entfernt von jenem Hochamt der
Gospel-Ästhetik, zu dem Phil Upchurch mit den Staples Singers und Bleichgesichtern wie Ricky Peterson sich hochgeschaukelt hat ("Whatever happened to the Blues", 1992).
Es gibt mehrere "reine" Blues-Stücke auf "Piety Street", es schließt mit zwei
Country-Songs.
Im Gegensatz zu einem
Bill Frisell, der gleichfalls alles, was er spielt, personalisiert - aber durchaus auch die Form(en) in Themen-Alben, scheint John Scofield für einen solchen Spagat weniger geeignet. Schon seine Hommage an Ray Charles 2004 war nicht gerade das Gelbe vom Ei, "Piety Street" enttäuscht weitaus mehr. Es wirkt wie das Produkt einer mittelmäßigen Band, die sich einen John Scofield als Gast leistet.
Scofield ist wirklich Scofield nur, wenn er Scofield spielt.

erstellt: 18.04.09

©Michael Rüsenberg, 2009, alle Rechte vorbehalten