HERBIE HANCOCK River: the joni letters ****

01. Court and Spark (Joni Mitchell), 02. Edith and the Kingpin, 03. Both Sides now, 04. River, 05. Sweet Bird, 06. Tea Leaf Prophecy (Mitchell, Klein), 07. Solitude (de Lange, Ellington, Mills), 08. Amelia (Mitchell), 09. Nefertiti (Wayne Shorter), 10. The Jungle Line (Mitchell)

Norah Jones - voc (1), Tina Turner - voc (2), Corinne Bailey Rae - voc (4), Joni Mitchell - voc (6), Luciana Souza - voc (8), Leonard Cohen - voc (10), Herbie Hancock - p, Wayne Shorter - ss, ts, Dave Holland - b, Vinnie Colaiuta - dr, Lionel Loueke - g

rec. 2007 (?)
Universal/Verve 0602517448261; LC 00383

"Wenn Joni Mitchel keine Jazzsängerin ist, dann weiss ich es nicht." Wäre Herbie Hancock diesem, seinem eigenen Credo gefolgt, hätte er nicht den Umweg über Norah Jones, Tina Turner, Corinne Bailey Rae und Luciana Souza wählen müssen, um die einleuchtende Botschaft zu dokumentieren: am besten Joni Mitchell ... singt immer noch Joni Mitchell selbst.
Nur einmal ist sie hier zu hören - und deklassiert alles, fast zuvor und danach in ihrem Namen aufgeboten wird.
Freilich, am zweitbesten singt, nein
spricht Joni Mitchell ... Leonhard Cohen. In "The Jungle Line" ist, wie nur bei Mitchell selbst, eine strukturelle Spannung zwischen vokaler Ebene und Begleitung zu spüren, Hancock begleitet mit klug gesetzten Blues-Phrasen - überall sonst navigiert er im Brackwasser zwischen ernster Jazz-Ballade und Cocktail Party.
Das gilt auch für die instrumentalen Versionen zweiter Mitchell Songs ("Both Sides Now", "Sweet Bird") sowie für die beiden Jazz-Standards, von denen Joni Mitchell beeinfluss worden sein soll.
"Nefertiti" ist darunter das am meisten mit Spannung erwartete Stück, immerhin wirken nun zwei Musiker mit, die schon an der historische Ersteinspielung von
Miles Davis am 7. Juni 1967 beteiligt waren - jenem "drum concerto as composition", wie es der Miles-Davis-Archivar Bob Belden charakterisiert. Das Stück besteht aus nichts weiter als dem ständig wiederholten Thema durch die Bläser, wogegen Tony Williams antrommelt und Herbie Hancock ein paar Klavier-Arabesken verstreut.
40 Jahre später geht Hancock den Klassiker im Duktus der Balladen-Stimmung dieses Albums an und versucht, die Architektur des Stückes im Stile jenes strukturellen Jonglierens zu verflüchtigen, wie es das Wayne Shorter Quintet in den letzten Jahren zu einem eigenen Stil entwickelt hat.
Trotz der Mitwirkung des Komponisten & Saxophonisten Shorter - das Projekt scheitert, scheitert geradezu jämmerlich, wie schon vor wenigen Jahren eine Tournee mit ähnlicher Intention & Besetzung.
Dave Holland (der Mann hat seine Meriten) ist nicht
John Patitucci und Vinnie Colaiuta (die JNE schätzt ihn außerordentlich als Groove-Meister) ist halt nicht Brian Blade - dieses assoziative Arbeiten, das Aufflackern von Gedankenblitzen stellt sich nicht ein, oder "die beschleunigte Wiedergabe von Wetterbildern", wie es die New York Times nennt.
Der publizistische Wirbel noch um eine jede der Hancock-Produktionen der letzten Jahre, er steht in krassem Widerspruch zu ihrem ästhetischen Ertrag. Wie weit müssen wir zurückschreiten, um ein Hancock-Projekt zu benennen, das dem historischen Rang dieses Musikers entspricht?
Der treffendste Satz über den Hancock der letzten Jahre stammt aus dem Munde seines jüngst verstorbenen Kollegen
Joe Zawinul und war irgendwo in den Nachrufen versteckt: "Der Herbie müsste eigentlich besser Synthesizer spielen können!"

erstellt: 24.10.07

©Michael Rüsenberg, 2007 Alle Rechte vorbehalten