WOLLNY/KRUSE/SCHAEFER (em)II ******

01. Bruder (Wollny, Kruse, Schaefer), 02. Phlegma Phighter (Schaefer), 30. Funébre, 04. Irradians, 05. Another Mr. Lizard (Wollny). 06. Moving (Kruse), 07. Takashi (Wollny), 08. Schwester (Wollny, Kruse, Schaefer), 09. So will die Sonn´ nun untergehen, 10. Walpurgisnacht (Wollny), 11. Brizzle (Kruse), 12. Rica (Schaefer), 13. Dance & Grow (Kruse), 14. Schneefall, 15. Gorilla Biscuits (Schaefer)

Michael Wollny - p, Eva Kruse - b, Eric Schaefer - dr

rec 09/2005 + 02/2006
ACT 9655-2; LC-Nr 07644

"Es liegt was in der Luft", schreibt der Brite Stuart Nicholson in den liner notes zu diesem Album. Und da er den alten deutschen Schlager nicht kennt, dürfen wir ergänzen "Ein ganz besonderer Duft."
Nicholson spricht vom "Hauch der Veränderung über Europa" und meint doch nichts anderes als den Geruch seiner auch in
Buchform modernden These, "dass mittlerweile einige der interessantesten und dynamischsten Entwicklungen im Jazz nicht mehr aus seinem Ursprungsland kommen, sondern aus der Alten Welt."
Wer diese Produktion kauft, weiss, er hat ein gutes Stück dieser Entwicklung in Händen. Damit nicht genug: im britischen Jazzmagazin "Jazzwise" (09/06) tritt der Laudator Nicholson (ohne dass er das kenntlich macht) auch als
Kritiker auf und bescheinigt sich seinen "frühen Eindruck, dass der Pianist Wollny sehr wohl ein grösseres Talent des Europäischen Jazz werden könnte."
Man ist fast geneigt, den jungenhaften Pianisten Wollny (dessen grob geschnittenes Kopfhaar Anlass zu mancherlei
Ikonografierung gibt) gegen den Chor seiner wohlmeinenden Kritiker, gegen die Nicholsons mancher - nicht aller - Länder in Schutz zu nehmen.
Er kann was. Aber indem sie sein Können beschreiben, fallen seine journalistischen Freunde zugleich einer kollektiven
Maßstabslosigkeit anheim, in denen die Leistungen von Keith Jarrett, Marc Copland, ja auch Stefano Bollani oder Jean-Michel Pilc keinen Platz haben, von den verstorbenen Grössen ganz zu schweigen.
Der Pianist Wollny wird gefeiert, als habe vor ihm auch in diesem Land kaum jemand an diesem Instrument Meriten erworben.
Und selbiges gilt für dieses Trio. Wer es hört, dem vermittelt sich wenig davon, was die drei
können, sondern lediglich dass sie viel drauf haben. 15 Stücke lang überschütten sie den Zuhörer mit einem Füllhorn voller licks, patterns und Komplexitäten auf engstem Raum. Sie verraten eine grosse Kenntnis dessen, was heute an Spielmustern angesagt ist - aber wenig davon, wo sie in diesem Gelände stehen und vor allem: wie sie dauerhaft miteinander in Verbindung treten. Interaktion erscheint hier als geprobtes Verfahren, und da kein Stück länger als 5:19 dauert, bleibt offen, wie gut sie in freiem Gelände verkettet sind.
Warum nur zieht unsereins das
Simply Acoustic Trio aus Polen diesem Trio, Minsarah und den anderen vor?
Weil ihm mehr aus genuinem Jazz-Wollen gelingt - und weil es von weniger Sandmännchen-Propaganda umhüllt ist.

erstellt 11.11.06

©Michael Rüsenberg, 2006, Alle Rechte vorbehalten