BILL CARROTHERS & MARC COPLAND Standardized ********

01. Lonely Woman (Ornette Coleman), 02. You and the Night and the Music (Schwartz, Dietz), 03. The Needle and the Damage done (Neil Young), 04. Dim some (Carrothers, Copland), 05. Take the A-Train (Ellington, Strayhorn), 06. Blue in Green, Chorale (Miles Davis), 07. Blue in Green, Theme and Variation (Miles Davis), 08. Masqualero (Wayne Shorter), 09. Bemsha Swing (Thelonious Monk), 10. Lonely Woman (Ornette Coleman)

Bill Carrothers
- b, Marc Copland - p

rec 23. + 24.01.2005
Rough Trade/Minium MIN 004


Sie kennen und schätzen sich sich seit 20 Jahren, haben gelegentlich zusammen bei Marc Copland in New York City gespielt. Seit Bill Carrothers wieder in Minneapolis lebt, hat sich der Kontakt zu einer Freundschaft entwickelt.
Nun war man von Marc Copland schon einige Duos gewohnt, mit Saxophonisten (Dave Liebman, Greg Osby), mit Gary Peacock (Bass); nicht immer hat der Gewährsmann Debussys und Ravels im Jazz dabei so geleuchet wie in seinen Trio-Aufnahmen.
Das ist hier anders, dieses Album steht klar an der
Spitze seiner Duo-Einspielungen. Es bietet einen Genuss sondergleichen: die beiden Pianisten kosten den Moment aus, horchen Klängen nach, formen Zeit, wie es einer jeden Feierstunde würdig wäre - und man vermisst keinen Augenblick irgendein anderes Instrument, schon gar nicht einen Wackelkandidaten wie Randy Brecker, der neben Copland ein anderes, zeitgleich veröffentlichtes Album durchsteht ("Both/And").
"Standardized" (die französische Ausgabe trägt einen anderen Titel) ist zugleich Richtung und Programm, das Album besteht überwiegend aus Standard-Interpretationen. Es wird quasi eingerahmt zweier sehr unterschiedlicher "Lonely Woman"-Bearbeitungen, sie bestechen durch dunklen Charme und
rubato-Meisterschaft. "You and the Night and the Music" nimmt sich dagegen geradezu "frivol" aus; da gibt es kein Vortasten mehr, sondern Boogie-Patterns, wie man sie von diesen Musikern selten gehört hat. Hier beginnt einer (wer? Carrothers?) mitzubrummen, was er später des öfteren noch tun wird.
Mit
Neil Young´s "The Needle and the Damage done" sind sie dann wieder beim zentralen Ausdruck dieses Albums, einer sich kunstvoll entfaltenden Melancholie. Auch wenn das Thema erst bei 1:41 erklingt - Carrothers & Copland halten die Form des Originals aufrecht, mal übernimmt der eine, mal der andere die improvisatorische Führung, der Song-Rahmen wird nicht aufgebrochen.
In anderen Interpretationen kommen eher de-konstruktivistische Techniken zum Einsatz: in "Take the A Train" schieben sie sich Phrasen und Elemente zu, bis hin zur Dissonanz; man weiss immer, was sie spielen - das Thema erklingt erst bei 3:10. Ähnliches in "Bemsha Swing", wo das Thema fragmentiert, seine Teile ineinander verschoben werden.
"Blue in Green (Chorale)" bildet den dunklen Kern des rubato-Spielens, jenes vorsichtigen Ausformulierens von "Zeit", ohne festen rhythmischen Rahmen, es klingt in "Theme & Variations" impressionistisch aus.
"Masqualero" ist schicht ein Glücksgriff!
Wayne Shorter´s supersimples, aber höchst wirkungsvolles 10-Noten-Thema auf dem Fundament eines Bolero, den die beiden verschleifen, verundeutlichen, aber keineswegs aufgeben.
Im Finale, dem zweiten "Lonely Woman", verschwimmen, verschmelzen die rhythmischen Formen mit unglaublicher grandezza, wie hinter Milchglas lassen sich hier mal 4/4 oder 3/4, bisweilen auch rubato ausmachen. Nie zuvor wurde dieses Stück in solcher Eleganz gefeiert.


erstellt: 28.09.06

©Michael Rüsenberg, 2006
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