JOHN MCLAUGHLIN Industrial Zen ***

1. For Jaco (McLaughlin), 2. New Blues Old Bruise, 3. Wayne´s Way, 4. Just so only more so, 5. To bop or not to be, 6. Dear Dalai Lama, 7. Senor C.S., 8. Mother Nature

John McLaughlin - g, synth progr, drum progr, fretless g, chants; Bill Evans - ss (1), ss + ts (4); Gary Husband - keyb (1-3,5,7), dr (1,7); Hadrien Feraud - bg (1, 7), Mark Mondesir - dr (1, 7), Eric Johnson - g (2), Vinnie Colaiuta - dr (2), Ada Rovatti - ss (3), ts (6); Dennis Chambers - dr (3,5,6), Zakir Hussain - tabla (3,5,6), Tony Grey - bg (3,8), Matthew Garrison - bg (4,5), Marcus Wippersberg - drum progr (4), Otmaro Ruiz - synth (5), Shankar Mahadevan - voc (6,8)

rec 2006 (?)
Emarcy/Universal 06024 9839328 4; LC-Nr 00383

Optimal wäre, man könnte sich für diese Produktion ganz dumm stellen: sie so beurteilen, als habe man von diesem Herrn noch nie einen Ton gehört. Aber wenn einem dabei dann doch die Kompositionstitel zur Kenntnis gelangen? Die in ihnen enthaltenen Widmungen, die konzeptionell Richtungen vorgeben?
Wie man´s auch dreht und wendet - im Fall der jazz-historischen Figur
John McLaughlin kann eine Rezension immer nur sub-optimal ausfallen (ganz zu schweigen von der prinzipiellen Unmöglichkeit eines vorbehaltlosen Hörens).
Vor allem tragen dazu die Verlautbarungen des Künstlers selbst bei, insbesondere seine Absicht, mit "Industrial Zen" ein "Underground"-Projekt machen zu wollen. Das muss man sich mal vorstellen: da sitzt einer, heute 64, der vor 40 Jahren einen
Underground zu nennenden Zustand wirklich erlebt hat, der in den Jahrzehnten danach zu den einflussreichsten Musikern seiner Gattung emporgestiegen ist, heute in seinem Haus in Monaco (!) - und will auf Underground machen!
(Dieser Jazz-Witz ist noch besser als der: "Wie schrauben 10 Tenorsaxophonisten eine Glühbirne ein?").
Mehr noch, die Kritiker würden ihn, meint McLaughlin, für das, was er da vorhat, "ans Kreuz nageln". Und: "Ich will alles
kaputtmachen!"
Da will also einer, der schon vieles erfunden hat, sich noch einmal so richtig in Frage stellen, sich neu erfinden - und landet als Bettvorleger vor seinem eigenen Werk.
Sein Anspruch an "Industrial Zen" ist masslos überzogen, ja eine Groteske gemessen an dem, was man tatsächlich zu hören bekommt. "Industrial Zen" enthält nichts, was John McLaughlin nicht zuvor schon besser gelöst hätte, so tief ist selten eine jazz-historische Grösse gefallen. Dass es dafür überhaupt Punkte gibt (es hätten auch mehr sein können), ist allein den handwerklichen Tricks zu danken: Figuren wie Vinnie Colaiuta, Mark Mondesir, Gary Husband, Matthew Garrison, Dennis Chambers
können einfach nicht einen bestimmten Standard unterfliegen.
Doch mit Gestalten wie Bill Evans oder Ada Rovatti (Ehefrau von Randy Brecker) lässt sich eben auch kein Staat machen (bzw dieser ins Wanken bringen).
McLaughlin hat mehrfach solche Jazzrock-Alben in Patchwork-Manier vorgelegt: "The Promise" (1995), von "Electric Guitarist" (1978) ganz zu schweigen. Aber nichts hier vermag an den Status des Duos mit
Jeff Beck anzuknüpfen, an "Jazz Jungle" und "Shin Jin Rui" (alle auf "The Promise"), zwei Vorarbeiten für seine "Heart of Things"-Band. Erneut zeigt sich, dass McLaughlin mit Studio-Ensembles sich selbst schlecht bedient, erneut gibt er den Mercedes-Testfahrer und nicht einen so organisch sich entwickelnden Solisten wie in "Live in Paris - The Heart of Things" (1998). McLaughlin braucht die eingespielte Mannschaft und nicht die Studio-Frickelei. Am traurigsten auf "Industrial Zen" sind denn auch die elektronisch programmierten Parts: sie kommen über "The Promise" nicht hinaus, ein semi-technoides Gezappel, das insbesondere klangtechnisch antiquiert ist. Kaum glaubhauft, dass ein Gary Husband dies für state of the art hält.
Das Gros der Kompositionen auf "Industral Zen" sind Widmungsstücke: in "Jaco" löst McLaughlin diese Aufgabe am deutlichsten, mit ein paar
Weather Report-Akkorden und Pastorius´schem vibrato durch den 21jährigen Hadrien Feraud, das Stück dann auch noch mit einem Jaco-Zitat ausklingen lässt.
Der Shuffle "New Blues Old Bruise" könnte
Jack Bruce zugedacht sein, die Bezüge zu Wayne Shorter ("Wayne´s Way") und Michael Brecker ("To bop or not to be") bleiben nebulös; man höre sich zum Spass mal "Jazz Jungle" von 1995 an, wo Brecker und McLaughlin "die Hosen runterlassen".
Nichts von alledem hier. Ausgerechnet im 12-minütigen "Dear Dalai Lama" wird eine Strecke von vier Minuten zu einer Art "Electro Shakti" verdichtet, wo McLaughlin mit Dennis Chambers und Zakir Hussain nur so abfliegt - um danach wieder in kraftloses Geblubber herabzusinken. Das wäre, wenn schon nicht "underground", konzeptionell wenigstens ein neuer Augenaufschlag gewesen.
Nein, der
Monegasse McLaughlin ist mit seinem Versuch, Zeitgenossenschaft (wieder) herzustellen, gescheitert. Wenn er, wie er in einem Interview sagt, derzeit die Bänder des Trio Of Doom für eine Neuauflage ediert (Havanna, 1979), dann ahnen wir nicht, sondern wissen, dass er dabei ein glücklicheres Händchen haben wird.
Trio of Doom, remember, das waren John McLauglin, Jaco Pastorius und Tony Williams!

erstellt 11.08.06

©Michael Rüsenberg, 2006, Alle Rechte vorbehalten

PS: Gary Husband spielt Dance of Maya