WOLFGANG MITTERER Radio Fractal. BeatMusic. Donaueschingen 2002********

Max Nagl
- bars; John Schröder - g; Herbert Reisinger - dr; Patrick Pulsinger, Erdem Tunakan - electr.; dieb 13 - turntables; Wolfgang Mitterer - electr

rec 19.10.2002
HarmononiaMundi/hatOLOGY 2-606

Schön ist, den Titel einer Produktion gegen ihren Inhalt richten zu können. Ein Betriebsunfall wird genannt, wenn sich dazu auch die liner notes (normalerweise ein bezahlter Preisgesang) in Gebrauch nehmen lassen.
Ein Autor, dessen Einlassungen zur Musik ich schon im Deutschen schwer zu folgen vermag, u.a. weil er Musik wie Literatur behandelt, wird hier in Englische übersetzt - was dem Herumhantieren mit Bataille- und Deleuze-
Zitaten eine zusätzliche Komik beschert. Nach einem schweren Textzeichen von George Bataille strauchelt unser Mann schon mit dem Auftakt:
"Yesterday´s departure to new frontiers is today ´s narcissim."
Also, demnach zähle, wer gestern zu neuen Ufern aufgebrochen ist, heute zu den Selbstverliebten ...mhm.
Das ist lieb gemeint. Selbst wenn ich dieser Aussage einen Sinn unterstelle, weiss ich nicht recht, wie dieser dem hier zu feiernden Künstler zugute kommen soll.
Das OEuvre von Wolfgang Mitterer kennt mehrere solcher Aufbrüche, ob ich nun bei "obsooderso" (1985, mit Wolfgang Puschnig) zu zählen beginne oder bei den
Pat Brothers, ein Jahr später - das ist gut eine halbe Generation her... und Mitterer demzufolge ein Narzist. Wie?
Nun gut, unser Mann hat sich den Ball lediglich zu einem Show-Elfer zurechtgelegt, ein bisschen high brow muss sein. Er dribbelt dann um einstige Jazz-Innovatoren herum, die später zu Jazz-Polizisten geworden seien, und gelangt nach einigem Herumgekicke zu einer nachvollziehbaren Themenstellung dieser Musik, als "beeindruckender Gegenüber-stellung verschiedener innovativer Trends der Modernen Musik..."
Der produzierende SWR-Redakteur hilft uns mit dem sachdienlichen Hinweis, dem Konzert dieses Ensembles in Donaueschingen liege ein "Band" von einer Stunde und 44 Minuten zu grunde, achtkanalig im Studio von Mitterer produziert, in der Funktion "akustische Szenerie". Die 7 Musiker hätten überdies eine grafische Notation zur Hand, mit Einzeichnungen: wem wann die Stimmführung und unter Betonung welcher dynamischen Parameter zukomme, aber - natürlich! - lasse Mitterers "Collage viel Raum für freie
Improvisation". Wie immer in unseren Kreisen: das Eine ist richtig, aber immer auch sein Gegenteil.
Das freilich sind Mitteilungen aus dem Reich der Intentionen, sie müssen uns Rezipienten nicht weiter bekümmern, denn Wolfgang Mitterer ist trotz der intellektuellen Eiertänze um ihn herum nicht auf der Fährte derer, die auf der Bühne irgendwelche "ästhetischen Probleme" zu lösen suchen - dafür ist bei ihm einfach zu viellos, zuviel der Sinnenfreude, zuviel der klanglichen Überraschungen, des Blubberns, Waberns, Klatschens.
Was in "Radio Fractal.Beat Music" vorproduziert, was live erzeugt wurde, was geplant, was spontan war, bleibt dem CD-Hörer prinzipiell verschlossen. Allenfalls die Konzertbesucher am 19.10.2002 in Donaueschingen werden die beliebte Frage nach den Proportionen von Komposition & Improvisation beantwortet haben können. Selbst das Hinsehen aber wird sie nicht restlos zufriedengestellt haben, denn in einem Septett mit allein vier Elektronikern - noch dazu "Einspielband" - resultieren grosse Klänge selten aus grossen Handbewegungen.
Unsereins darf sich also allein auf seine Ohren nebst nachgeschaltete Wahrnehmungsorgane verlassen, und denen fällt auf, dass Nagl mit seinem Baritonsax, auch Bassklarinette, dieses Gewusel nur schwer durchschneiden kann, John Schröder hingegen deutlich besser. Er spielt einen zunächst anachronistisch anmutenden früh-
McLaughlin-Stil. Aber was heisst das schon in einer Umgebung, die - müsste man sie visuell darstellen - ausschaut, als würde man von oben auf ein System miteinander und gegeneinander rotierender Scheiben blicken.
Ein idiomatisch klares Wort ist herzlich willkommen, warum also nicht eine Jazz-Gitarre oder auch ein Live-Schlagzeug, das seine Eigenart gegen all die präparierten patterns setzt, ja nicht selten kann man sogar einen abstrakten Miles-Funk erkennen, bevor das Tempo wieder anzieht und Schröder/McLaughlin auf einem
drum´n´bass-Strahl fortrast.
Na klar, Technoides in grosser Breite liefert die grosse Stil-Fontäne für das Geschehen von knapp zwei Stunden, Miles´isches das Gegenfeuer.
Es gibt Leerlauf, und man wird diese Doppel-CD nicht einen jeden Tag auflegen wollen. Aber wenn - und dann am besten unterm Kopfhörer -, dann wird man sie etlichen anderen Projekten auf diesem Sektor, insbesondere amerikanischen, überlegen finden.
Nicht wir müssen Spooky & Olive hören, sondern DJs aus der Neon City diese elektro-akustisch geladene Jazz-Versammlung aus einer sehr alten europäischen Kulturmetropole.
Wer unbedingt Deleuze dazu lesen will, soll es tun - für den grossen Rest hat der damit soviel zu tun wie Kanzlers "Gedöns".

©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

OliveWikipedia: The olive is a species of small tree in the family Oleaceae, found in much of Africa, the Mediterranean Basin from Portugal to the Levant, the Arabian Peninsula, and southern Asia as far east as China, as well as the Canary Islands, Mauritius and Réunion. The species is cultivated in many places and considered naturalized in France, Corsica, Crimea, Egypt, Iran, Iraq, Syria, Java, Norfolk Island, California and Bermuda.