R+R=NOW Live

R+R=NOW Live ***

01. Respond (Hodge, McFerrin, Seales), 02. Been on my Mind (Glasper, Hodge, Tyson, Scott, Nawran, Lake, Smith), 03. How much a Dollar cost (Lamar, McKinney, Fauntleroy, Leimberg, Martin), 04. Change of tone (Glasper, Hodge, Tyson, Scott, McKinney, Martin, McFerrin), 05. Perspectives / Postpartum (McFerrin, Christian Scott), 06. Needed you still (Glasper, Hodge, Tyson, Scott, McKinney, Martin, McFerrin, Hardwick, Neil), 07. Resting Warrior (Glasper, Hodge, Tyson, Scott, McKinney, Martin)

Robert Glasper - keyb, Terrace Martin - synth, vocoder, as, voc, Christian Scott aTunde Adjuah - tp, Derrick Hodge - bg, Taylor McFerrin - synth, Justin Tyson - dr, Omari Hardwick - rap-voc (6)

rec. 10/2018
Blue Note 0602435461625

Um ein Haar hätten wir die gleiche Einleitung wie zum Studio-Album 2017 geschrieben. Der Eindruck ist sehr ähnlich.
In einem freundlichen Gestus formuliert: wann, endlich, geruht der Herr Glasper, seine beachtlichen Talente wieder zur Geltung zu bringen?
Anders formuliert, wann geht der Mann wieder mal an die Arbeit?
Die Antwort, die dieses Produkt gibt, bleibt unbefriedigend. Es ist vor zweieinhalb Jahren entstanden, kurz nachdem Glasper dieses „dream team collective“ nach dessen Gründung für mehrere Tage im Blue Note New York City aufnehmen ließ. Es handelte sich laut Plattenfirma insgesamt um „a month-long residency“; mit anderen Worten: da kann noch was nachkommen.
Es sollte dann aber von der außerordentlichen Live-Präsenz dieses Musikers erzählen, die hier trotz nomineller Bühnenpräsenz nur spärlich sich entfaltet.
Das Album kommt nämlich nur schwer in die Gänge.
cover glasper rr liveEs beginnt mit einem schleppendem Funk-Groove, wie ihn die meisten der hier Beteiligten für gewöhnlich atmen. Ein Trompetensolo von Christian Scott entfaltet sich darüber, aber es findet keinen Gegenpart. Eine solche Energie verpufft im Raum.
Es folgen zwei Soul-Balladen, darunter die bekannte „How much a Dollar cost“ von Kendrick Lamar; man sehnt sich an Casey Benjamin zurück (aus Robert Glasper Experiment), der mit seinen Vocoder-Spielereien wie kein Zweiter auf der Rasierklinge zwischen Schmalz & Soul zu balancieren wußte.
Hier kann einem zum ersten Mal Terrace Martin auf die Nerven gehen. Ja, richtig, der viel-gelobte producer, der seit Jahrhunderten am neuen Herbie Hancock arbeitet. Er spielt ein elektro-akustisch verfremdetes Altsaxophon, mit einem geradezu jämmerlichem Ton.

(Daß ein Herbie Hancock so ein Gefuchtele vor Jahren in der Phiharmonie Essen mit Komplimenten meinte garnieren zu müssen, gehört zu den vielen Rätseln von Onkel Herbie´s späten Jahren).
Mit track 4, „Change of Tone“, beginnt in der Tat das Blatt sich zu wenden. Das Stück beginnt wie ein typischer midtempo Soul von Robert Glasper, mit Vocoder-tralala und den beliebten cheesy keyboard-Klängen (die Wahl der Klangfarben ist, wie immer in diesem Sektor, sehr eingeschränkt und einfallslos).
Soweit, so banal. Nach dem das Motivlein allen zu den Ohren raushängt, dreht, wendet, knetet Glasper es am Piano und führt es auf Monk´sche Abwege. Oh ja, der Mann kann was. Die Rhythmusgruppe zeigt ihre Funk-Muskeln, aber bleibt im Groove - der Chef hat ein Solo.
Zwei Stücke weiter, „Needed you still“, ein Rapper tritt hinzu, eine ganz ähnliche Situation: Robert Glasper tut das, was er bis dato selten getan hat (und Chick Corea vor ihm auf derselben Bühne): er übernimmt mit einem Synthie-Solo. Er verfolgt keinen Klangreiz wie Corea, aber wie jener beugt er die Töne (pitch bending). Und Justin Tyson geht mit!
Dieselbe Konstellation dann im Schlußtrack, „Resting Warrior“, wie beim Studioalbum das Highlight der Produktion. Zunächst muss man noch einmal die Tröte von Terrace Martin ertragen, es folgt Christian Scott mit einem Trompetengewitter. Viel Lärm vor der Hoftür.
Und dann entfaltet sich peu a peu mitten im Stück ein neues Stück. Die Afro-Kalimba-Figur (vom keyboard), die bisher das Stück prägt, verglimmt. Ein Shuffle-Groove schiebt sich unter Keyboard-Geklingel. Der Groove öffnet sich.
Und dann kommt Glasper!
Glasper kommt wie einst „Netzer aus der Tiefe des Raumes“ (Karl-Heinz Bohrer, 1973) - erneut mit einem trockenen Synthie-Sound. Er verwirbelt die Töne mit großem Geschick dafür, welcher Ton genau intoniert, welcher angeschliffen wird.
Die beiden Keyboarder plänkeln noch ein wenig herum, im Zentrum aber agiert Glasper mit der Rhythmusgruppe, mit Derrick Hodge und Justin Tyson. Sie kneten den ternären Groove nach allen Regeln der Akzentverschiebung, des beat displacement und der Interaktion. Und verlieren das Thema nicht!
Was die drei veranstalten, kann sich rhythmisch durchaus mit Momenten bei Chick Corea, Stanley Clarke und Lenny White messen. Allenfalls an dramatischen Spitzen bleibt noch Luft nach oben.
Warum aber (wenn wir mal für einen Moment ausblenden, dass man im digitalen Zeitalter eine Tonproduktion gerne auch gegen ihre Ordnung hören kann), warum aber hält ein Künstler uns so lange hin?
Vermutlich, weil sich Robert Glasper in erster Linie an ein anderes Publikum wendet. Und nicht (mehr) an die Jazznerds.

erstellt: 25.02.21
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