Münchner G´schichten der Jazzgeschichtsphilosophie (7)

Von welcher Kompetenztiefe spricht eine Rezension, die in der Überschrift ausposaunt, das zu beurteilende Album sei „völlig frei von allem, was ranzig schmeckt am Jazz“?
Wir ahnen, worauf der Rezensent sich beziehen könnte, nämlich auf Frank Zappa´s vorzugsweise mißverstandendes Diktum
„Jazz is not dead, it just smells funny“.
Es hat sich als Gruß der Ahnungslosen eingebürgert; wer nichts vom Jazz weiß, kann sich  eine Weile dahinter verstecken und das große Wort führen.
Bei Klaus Walter (SZ vom 18/19.08.18) taucht Zappa nicht auf. Walter ist in puncto Pop ausgewiesen, zum Jazz hat man von ihm noch nichts gelesen. Mit ihm setzt die SZ nun schon einen zweiten Rezensenten auf „Your Queen is a Reptile“ von Sons Of Kemet an -
ein Album, das wie kein zweites dazu einlädt, in der Titelei zu versinken und wenig bis gar nichts zur Musik zu sagen.
Walter baut zunächst einen riesigen Balkon, der vom Ska Revival, von Nelson Mandela und schließlich von einem „Musikwissenschaftler“ namens Lawrence Kramer bevölkert wird. Der hat eine halbgare Hypothese, das hermeneutsche Fenster, sich einfallen lassen:
„Öffnen des Raumes zur Interpretation von Sound, im Gegensatz zu einer Verengung der Möglichkeiten der Interpretation“.
Will heißen: wer die Titel für seine instrumentale Musik mit Semantik auflädt, kommt dem Verstehen näher, andernfalls…
Das dritte Album der Sons Of Kemet ist in dieser Disziplin nicht zu übertreffen, ein jeder Titel stellt eine andere weibliche afro-amerikanische Zelebrität heraus (Beispiel: „My Queen is Angela Davis“), gegen die „alt aussehende Reptilienkönigin“ Elizabeth II.
Ein Kampf der Pappkameradinnen, ein Symbolfechten, das viel zu sehr ermattet, um nach der Verbindung zur Musik zu fragen. Oder gar diese zu beschreiben.
Es reicht der Hinweis, dass der Leiter der Band, Shabaka Hutchings mit seinem „grenzen-sprengenden Saxofon“, eine „Schlüsselfigur der gefeierten neuen Londoner Jazz-Szene sei“, die „so frei ist von allem“ - jetzt kommt´s - „was ranzig schmeckt am Jazz: Reinheitsgebote, hoher Ton, ausgestelltes Virtuosentum“.
Wer anno 2018 bezüglich Jazz von Reinheitsgeboten spricht, kann nicht viel von dieser Musik gehört haben.

 erstellt: 20.08.18
©Michael Rüsenberg, 2018. Alle Rechte vorbehalten