Wenn Chefredakteure zu sehr lieben

Viele deutsche Jazzmusiker kämen vor Lachen nicht den Schlaf, gelänge ihn auch nur ein ordentlicher Auftritt im Feuilleton.
Bei Michael Wollny ist das anders. Der Leipziger Pianist kann seit seinem Album „Nachtfahrten“ (2015) Bernd Ulrich, einen der stellvertretenden Chefredakteure der ZEIT, zu seinen hartnäckigen followern rechnen.
Jüngst rückt der mit einem weiteren ranghohen Kollegen, Moritz Müller-Wirth, zum Interview an: zwei stellvertretende Chefredakteure der ZEIT bei Michael Wollny - ihr Beitrag (im Zeitmagazin No. 8 vom 16.02.2017), in einem „Heft über Männer, Melancholie und Musik“), liest sich wie das Protokoll einer Heimsuchung.
In der selben Ausgabe, auf der Titelseite, zeigt sich Ulrich in einem Kommentar, „Warum die AfD nicht von der Vergangenheit lassen kann“ wie gehabt, als kluger Analyst.
Dass wir im Magazin auf anderem publizistischen Terrain uns befinden, zeigt schon das Editorial: es bescheinigt den beiden vorab, sie hätten „die richtigen Fragen gestellt“.
Die Diagnose hätte genauso gut lauten können: unsere beiden stellvertretenden Chefredakteure wollten mal wieder so richtig albern sein.
Ihren Fragenkatalog hätte sich nicht mal die Berliner Jazzmanufaktur erlaubt:

- Rein akustisch: War Weihnachten nicht wieder der reine Horror?
- Gibt es auf der Bühne oder beim Proben Momente, die Sie so sehr genießen, dass Sie sich fast schämen?
- Es wird ja oft gesagt, der Jazz sei nur noch Verwaltung seiner selbst. Nun haben Sie mit “Nachtfahrten” offensichtlich etwas Neues geschaffen und den Jazz als solches weitergebracht. Wie kann es für Sie noch weitergehen?
- Gibt es zu gute Musik?
- Wann haben Sie gemerkt, dass die Welt der Musik unendlich ist, dass man eigentlich verpflichtet ist, das alles in sich hineinzuhören?
- Normalerweise werden die Jazzmusiker, die zu erfolgreich sind, in Deutschland eher niedergemacht, man wirft ihnen vor, kommerziell zu sein. Wie ist das bei Ihnen?
- Ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz: Sie brauchen keine Drogen und keinen Stoffbären. Sie sind nicht herrisch, sondern kooperativ, sie wollen nicht kontrollieren, sondern vertrauen. Sie sind, mit anderen Worten, ein echter deutscher Stuhlkreis-Musiker.
- Finden Sie nicht auch, dass die Welt in letzter Zeit sehr laut geworden ist? Hören Sie das politische Geschrei?

Wohlgemerkt, das sind Auszüge nicht aus dem Notizbuch der Hospitantin der „Bäckerblume“, sondern es sind zwei deutsche stellvertretende Chefredakteure einer „Qualitätszeitung“, die sich an einen ihrer musikalischen Favoriten heranwanzen.

Und Michael Wollny selbst?
Steht diesen Quatsch mit einer guten Portion Gleichmut durch. Man darf annehmen, dass er die eine oder andere durch Sachkenntnis gefärbte Frage vorgezogen hätte. Aber wer will sich noch regen, wenn der good will einen so erschlägt?

erstellt: 18.02.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten