Pablo Held Trio + Ralph Towner

Ein denkwürdiger Abend. Ein schmerzlicher Abend.
Ein Abend, an dem ästhetische und soziale Praktiken des Jazz nicht gerade harmonierten, um es vorsichtig zu sagen.
Vielleicht - hätte man die Reihenfolge anders geordnet - hätten sich andere Positionseffekte ergeben und die Bilanz einen Hauch freundlicher gestimmt.
Aber, mit dem besten Wein zu starten, ist auch jenseits der Gastronomie schwer verdaulich.
Vermutlich tat der Text im Programmheft der Philharmonie Köln (wiederum eine creation fatal aus der Jazz-Stanze Berlin) das Seine, um die gleichwohl frenetische Publikumsresonanz anzuschieben. Die Behauptung, „ein Zusammentreffen des deutschen Pablo Held Trios mit der amerikanischen Gitarrenlegende Ralph Towner (sei) so naheliegend wie kaum eine andere Konstellation“, dabei sei „alles andere als absehbar, was genau auf der Bühne passieren wird“, erwies sich vor Ort als vollkommen entkoppelt vom realen Geschehen.
Der beste Wein, das war zweifellos der des jüngeren Jahrganges, das Pablo Held Trio. Was danach aufgetischt wurde, der weitaus ältere Jahrgang, noch dazu von jazz-historischer Lage (Ralph Towner solo) schmeckte deutlich nach Kork. Und der schlug auch durch beim eigentlichen Ziel des Abends, dem Zusammenklingen der beiden Lagen.
Neu war das nicht; 2018 waren die vier schon einmal beim Esslinger Jazzfestival zusammengetroffen. Dass die Kölner den auch in Europa ausgebildeten US-Gitarristen zum 15. Geburtstag ihres Trios nun als Gast haben wollten - eine schöne Geste. Das wäre eine soziale Praxis des Jazz: durch Einladung einer historischen Größe Respekt erweisen, zugleich aber auch den Scheinwerfer auf die eigene Kompetenz richten.
Und die ist enorm beim Pablo Held Trio. Dass sich alle vier Musiker „seit dem ersten Treffen weiterentwickelt“ hätten, wie das Programmheft raunt, lässt sich an diesem Abend nur an den Gastgebern ablesen.
Pablo Held und Ralph Towner 1

 Ja, es gab Momente, da hatte es den Eindruck, als könnten die jüngeren (die nun auch schon um die 40 sind) dem 81jährigen Towner in seinen eigenen Stücken davoneilen. Sie könnten. Aber sie tun´s nicht. So lagern sie minutenlang auf einem 2-Takte-vamp statt ihn zu drehen, in Luft aufzulösen und wieder aufscheinen zu lassen - wie üblich in ihrer eigenen Performance.
Ja, Towners Sound auf der sechssaitigen „akustischen“ Gitarre ist noch da, die spezifische Meldodik, die Poetik seiner Stücke, schon in den Titeln („Museum of Light“). Und im rubato seiner eigenen Stücke oder auch in „Make someone happy“ (nach Bill Evans) mögen Unebenheiten in Phrasierung und timing noch als individuelle expressive Werte durchgehen.
Aber schließlich, im Verein mit den super-aufmerksamen Kölnern, fällt dann doch auf, dass die linke Spielhand auf dem Griffbrett im Fluß des Ganzen tändelt, trudelt und manchmal auch stockt. Das nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, ist mitunter schmerzlich.
Zumal die Bühnenordnung den „Helden“, den „Traum“ (wie von Pablo Held apostrophiert) keineswegs integriert. Held spricht über Towner in dessen Rücken, der kann sich kaum drehen: die beiden Hauptmelodiker des Abends ohne Blickkontakt, wer hat sich das einfallen lassen?
(Die Jazzpolizei erinnert an ein Konzert vor einem Jahr, auf derselben Bühne, wo Dell/Lillinger/Westergaard sich so aufstellten, dass sie die wesentlich gattungs-fremdere Tamara Stefanovich schon optisch einbinden konnten.)
Auf ihre Art sind die drei Kölner keine geringeren Zauberer als die Kollegen aus Berlin. Seit 2006 arbeiten sie zusammen. Seit 2008 verzichten sie darauf, „Stücke“ im Sinne von jeweils gewechseltem Notenpapier zu spielen. Trotzdem hat jeder solches vor sich; es dient dazu, den individuell unterschiedlichen Bedarf an Festigkeit zu stützen, wenn der Fluß der Musik Stellen umspült, an denen irgendein Detail gerade nicht memoriert wird.
Die drei schauen höchst selten darauf.
Sie können sich auf das verlassen, was Pablo Held in seiner Begrüßung aus der Rhetorik von Keith Jarrett übernimmt (mit dem ihn pianistisch wenig verbindet): die Musiker wüssten genauso wenig wie die Zuhörer, wie es weitergeht.
Das wirkt. Ein Raunen geht durchs Publikum, auch die Metapher „wie in einem Gespräch“ scheint gut dazu zu passen.
Aber wenn schon Sprach-Metaphorik, dann ist die Vorstellung von musikalischem Scrabble noch treffender, um die frappierende Anschlußfähigkeit der Beteiligten zu erfassen.
Jonas Burgwinkel beginnt den Abend mit einer Figur, die man sehr locker als Rock- oder Funk-bezogen erkennen kann, auf jeden Fall binär. Darauf passt kein swing. Also gesellt sich Pablo Held, der Herbie Hancock mit allen seinen Ablegern nun wirklich kennt, nach einigem Abwarten mit staccato-Tupfern auf dem Flügel dazu. Wenig später Robert Landfermann.
Der Groove bleibt in Ahnungen erhalten, ansonsten ändert sich alles, jedes Detail ruft andere Details hervor. Nach fünf Minuten ergibt sich so etwas wie ein Schluß.
Pause.
Das wäre auch für einen kurzen ersten Set des Abends viel zu wenig.
Bevor sich auch nur eine Publikumshand rührt, ist Landfermann da. Landfermann, der Fels. Landfermann fällt immer was ein.
Und wieder wird Stein an Stein gefügt, u.a. schält sich ein swing von großer Kraft & Herrlichkeit heraus, gelegentlich tauchen Themen auf, darunter ein oder zwei, die mit Blicken auf´s Papier fortgeführt werden.
Die drei spielen frei, aber nicht FreeJazz. Jazz as Jazz can, ein Vexierbild, in dem Zitate, Beinahe-Zitate und eigene Zutaten nicht zu trennen sind.
In 25 Minuten erarbeiten die drei das Bild einer Band, die man nun wirklich als großes Jazz Piano Trio bezeichnen darf.

erstellt: 23.12.21
©Michael Rüsenberg, 2021. Alle Rechte vorbehalten