What you have missed: Bruun/Westergaard/Kjaergaard, Loft, Köln

Der Begriff des sideman oder des comping, in manchen Feldern des Jazz ist er lange schon obsolet.

Nehmen wir als Beispiel Peter Bruun, den Schlagzeuger im Django Bates Trio Beloved.
„Begleitet“ er Django? So wie in den frühen Stilen des Modernen Jazz, Bebop, Hardbop, ja bis hinein in den Jazzrock, Bandmitglieder dem Komponisten (meist der Bandleader) beim Interpretieren seiner Vorlagen behiflich waren?
Ist Bruuns Tätigkeit nicht doch strukturell so tiefgreifend, dass ihn auf der Bühne oder im Studio (außer im urheberrechtlichen Sinne) nur noch ein Hauch vom Komponisten eines Stückes trennt?
Interessante Beobachtungen dazu ließen sich jetzt im Kölner Loft bei einem all-dänischen Trio machen.
Bruun zählt inzwischen zu den Prominenten des europäischen Post-FreeJazz, ebenso wie sein in Berlin lebender Landsmann Jonas Westergaard. Man konnte ihn in Django Bates´ „Saluting Sgt. Pepper“-Projekt 2016 erleben, derzeit läuft der Bassist Sturm mit Dell-Lillinger-Westergaard.
Für ihren Partner am Piano, Søren Kjaergaard, geb. 1978, war das Loft eine Premiere.
Das Debütalbum der drei („Positioner/Positions) lief 2020 unter dem Namen von Westergaard. Ein zweites, ein Doppelalbum, haben sie nun fast fertig. Im Loft nutzten sie nachmittags allein und abends vor Publikum den bekanntlich gut gepflegten Flügel der Steinway D-Klasse, um die vorhandene tracks gegen vielleicht noch bessere Aufnahmen auszutauschen.
Kjaergaard und Westergaard mussten jeweils Notenpapier auslegen - vor Bruuns drumset stand nicht mal einen Notenständer. Das, worauf es ankommt, hat er im Kopf. Es ist „seine“ Musik. Beim nächsten Album soll diese Rolle auf Kjaergaard übergehen.
Bruun kündigt nicht einen Stücketitel an, vielleicht hat ihm seine Ehefrau, eine Philosophin, diese Marotte der Jazzmusiker ausgetrieben. Kurz vor der Fahrt zum Loft hatte die Jazzpolizei noch eine deutsche Band, live im Radio beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt, gehört, die alle ihre Stücke brav ansagt: lauter Nullinformationen.
Bruun Westergaard Kjaergaard 1
Die Besucher im Loft wissen aus der Konzertankündigung, dass das Trio sechs Kompositionen von Bruun unter dem Sammeltitel „Thesaros“ („Schatzkammer“ auf Altgriechisch) spielen wird, das Trio habe ein Jahr geprobt, die Rede ist von polyrhyhtmischen Strukturen. Im Text folgt das übliche Jazzmusiker-Latein über Komposition und Improvisation.
Wie die beiden auseinanderzuhalten sind, und ob überhaupt, das erschließt sich hier mehrmals über den Schluß. Ein-, zweimal kann der pure Zufall dabei Regie führen, ja, aber nicht mehrmals. Märchenhaft, wie die drei Stimmen zu einem photo finish finden. Vorher deutet wenig darauf hin.
Vorher bewegen sie sich in einem Netz von polyrhythmischen, eigentlich mehr polymetrischen Verzahnungen. Das liest sich unverbindlicher, als es wirklich klingt. Denn verbunden sind sie durch Bewegung, die sich niemals vom Papier vorgeben lässt, sie erwächst aus dem Vollzug.
Sie lassen sich Zeit, bevor sie sich gemeinsam richtig hochschrauben (steht das so in den Papieren?). „Themen“ sind schwer zu erkennen, eher thematische Verkettungen.
Das ist Post FreeJazz, der so gut wie alles der Vorgänger-Gattung abgestreift hat.
Peter Bruun ist - auch klanglich - ein glänzender free player: er hat ja eine viel ausgreifendere Struktur im Kopf.
Jonas Westergaard tritt - auch klanglich - deutlicher hervor als bei den gefeierten Dell/Lillinger/Westergaard; er streicht viel mehr.
Und Søren Kjaergaard, über den wir am wenigsten wissen, er hat nichts, nicht mal eine Sekunde was von Cecil Taylor; eher schon Paul Bley. Deutlich hebt er sich auch ab von den an dieser Stelle jüngst gefeierten Elias Stemeseder oder auch Kaja Draksler.
Er spielt sehr linear, die neuen Hammerköpfe des Flügels bringen unter seiner Hände Druck das Instrument zu einem trockenen Glanz.
Die Jazzpolizei ist gespannt auf das kommende Doppelalbum.

erstellt: 31.10.21
©Michael Rüsenberg, 2021. Alle Rechte vorbehalten