Deutscher Jazzpreis 2021

Die Jazzpolizei rät: wir sollten den beiden Rappern (wie waren noch ihre Namen?) dankbar sein, die 2018 unfreiwillig Auslöser waren, den Echo Musikpreis insgesamt, und damit auch den Echo Jazz, zu kippen.
Es war die unseriöseste Auszeichnung in unserer kleinen Welt und aus sich heraus - trotz jahrelangen Stöhnens vieler Beteiligter - nicht in der Lage, die eigene Abschaffung zu bewerkstelligen.
Der Nachfolger - trotz mancher Befürchtung im Vorfeld - stellt sich als etwas von Grund auf anderes dar.
Er ist solide finanziert (nämlich vom Bund), das einstige Dauer-Abonnement auf Auszeichnung für ACT-Künstler ist ausgelaufen. Nur auf Mr. Redhorn, auf den im Norden offenbar unvermeidlichen Nils Landgren, mochte man nicht verzichten.
Der Norden, in Form eines NDR-Studios, stellte die Schaltzentrale für eine föderale Austrahlung, mit Stationen in Berlin (A-Trane), Mannheim (Ella & Louis) sowie München (Unterfahrt).
Nordrhein-Westfalen, das mutmaßlich den nächsten Bundeskanzler stellt und auch die wohl bedeutendste Club-Struktur des ganzen Landes (Stadtgarten und Loft in Köln, Domicil in Dortmund), übte sich vornehm in dem kölschen Motto „man muss auch jönne könne“.
Immerhin setzte sich unter „Club des Jahres“ das Loft gegen Unterfahrt und Donau 115 durch. Möglicherweise sahen die NRW-Spielstätten sich aber auch nicht in der Lage, für die Premiere Personal zu stellen, das in der Kategorie „aufgeregte Kindergeburtstags-Stimmung“ hinreichend bewandert ist.
In der deutschen Jazzwelt, so konnte man lernen, wird beinahe jede Eigenschaft mit dem Wörtchen „sehr“ verbunden.
Auf der Gegenseite mangelt es ihr ganz offenkundig aber an „Sichtbarkeit“. Die wurde in der knapp vierstündigen Live-Übertragung zweifellos hergestellt. Ob sie sich auch im Alltag durchsetzt, wird an ganz anderen Stellen entschieden.
Ein schöner Effekt dieser Sichtbarkeit war der Blick auf die Vielfalt der deutschen Jazzszenen. Es gibt auch andere Jazzpreise in diesem Lande (auf die hinzuweisen vergessen wurde, die mitunter für den einzelnen Künstler auch höher dotiert sind). Aber das sozusagen fraktionsübergreifende Gesamtpanorama, das den anderen Auszeichnungen fehlt, das hatte was.
Natürlich gab es Kinderkrankheiten, zuhauf. Zum Beispiel das importierte Modell des Wechselspieles aus Moderator/Laudator/PreisträgerIn hat noch viel headroom.
3621 Deutscher Jazzpreis Hamburg Fynn Freund 09 scaledKurioserweise funktionierte es am besten in den geografisch entferntesten Live-Schalten: zu Ute Lemper (New York) für die Kategorie 1 „Vokal national“ (Lucia Cadotsch) und in der vorletzten, der Kategorie 30 „Lebenswerk“: Herbie Hancock für den Veranstalter Karsten Jahnke.
Wünschenswert wäre auch, wenn die ModeratorInnen im Gespräch mit den LaudatorInnen zusätzlich zur Rührung ein klein wenig von den mitunter erfreulich sachlichen Jury-Begründungen sich zu eigen machten.
Das sind Stellschrauben, an denen sich bis zum nächsten Jahr trefflich arbeiten lässt. In der Hauptsache aber, in der Auswahl von Preisträgern und Preisträgerinnen, setzt sich der Deutsche Jazzpreis geradezu radikal von seinem Echo-„Vorgänger“ ab.
Nach einem frühen Schock in der Kategorie 7 „Bass“ (Eva Kruse allen Ernstes vor Europa League Spielern wie Frans Petter Eldh und Robert Landfermann) blieben weitere spektakuläre Fehlgriffe aus.
Tigran Hamasyan unter „Piano/Keyboards international“ und „Künstler international“ dürfte weniger ein Problem für die heterogene Jury gewesen sein.
Aber sich auf Christian Lillinger sowohl als „Schlagzeuger national“ wie auch als „Künstler national“ zu einigen, zeigt neben der sachlich unbestrittenen Berechtigung sicher auch eine Portion Mut.
Der Berliner aus dem Spreewald, den viele fälschlich für einen wilden Mann halten, gab sich am Ort seiner Auszeichnung, in der Unterfahrt München, als, wie es in der Landessprache heisst, „ganz a lieber Kerl“.
Er dankte - wie andere auch - ganz besonders seiner Frau, „was die alles mitmachen muss“.
Schön, dass die Kategorie der „Frau an seiner Seite“ in der „sehr…“ Jazzwelt von Bestand ist.

PS: Was und wie die „Tagesthemen“ darüber berichten („Gefühle werden zu Tönen“), ist mal wieder ein Klasse Sichtbarkeit für sich…

Foto: Fynn Freund (Lucia Cadotsch)

erstellt: 04.06.21
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