What you have missed 02.06.19

Herrschaften, ist das noch Latin Jazz?
Von den acht oder neun Stücken des Konzertes mindestens zwei in 9/4.
Gelegentlich eine Verdopplung des Tempos durch den Saxophonisten; die anderen lächeln kaum merklich, „wir haben verstanden“ - und gehen mit.

Aber vor allem: wo ist der clave?
Das Zählmuster 3-2 oder 2-3 kann man so gut wie nirgends anlegen.
Dabei besteht das Programm doch - Miguel Zenon erklärt es uns freundlich - aus Bearbeitungen der Songs eines Sängers aus Puerto Rico (der Name geht irjenswie unter).
„Bearbeitungen“ ist das Schlüsselwort. „Research“ (Erforschen) ein noch genaueres.
Bloß weil ein Vortrag in vielem vom Standardtext abweicht, muss man noch keine neue Gattung ausrufen.
Es ist doch schön, dass auch etwas so Festgefügtes wie der Latin Jazz Erweiterungen erfährt. Ja, stimmt, das läuft schon seit Jahren, und der aus Puerto Rico gebürtige Miguel Zenon wirkt dabei an vorderster Front.
Aber, wie gut, ja wie aufregend, wie umwerfend er mit seinen Leuten agiert, das darf einen doch erneut in helle Freude versetzen.
Zenon bewegt sich nach wie vor im Nachklang von Charlie Parker, mit einem wahnsinnig flüssigen, exakt phrasierten und rhythmisch knallharten Altsax-Ton.
Hinter ihm der Glawischnig, Hans, am Kontrabass, aus der Steiermark.
Doch das Wundern darüber, was so einen in den Latin Jazz verschlägt, legt sich, wenn man hört, dass Zenon sein erstes Stück überhaupt mit Glawischnig eingeprobt hat. Nachdem jener zuvor bei Ray Baretto die Feuerprobe für das Genre bestanden hatte.
Glawischnig wird bald 50, inzwischen gehört er zur HR Big Band, er pendelt zwischen Mainhattan und San Francisco - und bleibt diesem Quartett erhalten.
Man muss das hören, wie Glawischnig´s Kontrabass mit der linken von Luis Perdomo am Piano gleichläuft- ja, altes Stilmittel, aber selten in dieser Perfektion & Kraft.
Perdomo, aus Venezuela (Edward Simon übrigens auch!), ist so etwas wie der McCoy Tyner des Latin Jazz, nur viel leichtfüßiger. Man möchte aufspringen, wenn er den Abschluß eines Solos mit Repetitionen von Teilen des Themas ankündigt.
Und wenig später der Bandleader - aus dem off - schlafwandlerisch mit-wiederholt, um dann Heny Cole das Feld zu überlassen.
Es ist ein Rätsel, warum dieser Mann aus Puerto Rico nicht auch zu den Führungskadern des derzeitigen Jazzdrumming gezählt wird.
Cole verfügt über ein timing (wir sind in Köln, im Stadtgarten!) wie einst Jaki Liebezeit. Es verbindet ihn auch eine gewisse Maschinenhaftigkeit - aber hier enden die Verwandtschaften.
Henry Cole ist ein interaktiver Drummer, in dieser seit vielen Jahren eingespurten Band weiß er genau, was wann zu Akzenten herausfordern könnte. Zudem muss man sich das Ganze mit einem häufig ternären „Unterton“ vorstellen - es brodelt und flackert in einer atemberaubenden Konstanz.

Miguel Zenon Quartet 1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

erstellt: 03.06.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten