Jazzfest Berlin 2018 (I)

„Der Jazz hat lehr- und lernbare Inhalte.“
Den Satz muss man sich in altväterlichem, bairischem Sound vorstellen.
Er wird Joe Viera zugeschrieben, Saxophonist, Jazzpädagoge und langjähriger Leiter des Festivals in Burghausen.
Er hat ihn nie geäußert - „aber, er könnte von mir stammen.“
Viera hatte, mit anderen Worten, die Beschreibbarkeit der Musik vor Auge & Ohr.
Die Lektüre des Magazins zum Jazzfest Berlin 2018 würde ihn ratlos machen.
Die nähere Befassung mit Musik verschwindet dort hinter einer „wall of words“, gezimmert aus einem bizarren Adjektivismus. Kaum ein Substantiv, das unbegleitet bleibt von Aufbrezelungen wie „politisch“, „diskursiv“, „dynamisch“, „futuristisch“ … and all that jazz (Michael Rutschky).
Rolf-Ulrich Kaiser, anno 68 Chef der Internationalen Essener Songtage und später spiritus rector der „Kosmischen Kuriere“ wäre entzückt, könnte er heute - auf völlig anderem musikalischen Humus - die Sprachblüten zählen, die ihm vor Jahrzehnten in einer Dachwohnung in Köln-Holweide eingefallen sind.
„Die Anrufung eines astronomischen Sprachschatzes im Jazz ist naheliegend, wenn es um die kosmologischen Schöpfungen musikalischer Strömungen geht, die durch den Afrofuturismus beeinflußt wurden.“
Ist das noch RUK oder schon Erich von Däniken, ganz sicher nicht Hoimar von Ditfurth oder Stephen Hawking.
Es ist, zeigt uns der entsprechende Text in Berlin, nichts von alledem.
Denn „die Anrufung greift (…) auch zu kurz“, im Hinblick auf den Künstler, dessen Beschreibung sie vorangestellt ist: Rob Mazurek aus Chicago.
In seinem Exploding Star Orchestra dirigiert er Musiker*innen aus der windy city sowie aus Berlin. Aber nicht im Sinne einer „conducted improvisation“, wie sie Tyshawn Sorey im letzten Jahr und George Lewis wie auch andere zuvor auf derselben Bühne aufgeführt haben.
Mazurek hat eine Suite geschrieben. Und aus deren Interpretation ragen insbesondere die Stellen heraus, wo er sich weniger auf das Feld der modern composition begibt als vielmehr Schwebeklänge, kollektive drones, mit den Armen rudernd dirigiert.
Die Flötistin Nicole Mitchell scheint hier weitaus besser aufgehoben als in ihrem eigenen Black Earth Ensemble zu Beginn des Abends, in weithin vorausahnbaren Strukturen.
Hinreißend wieder einmal Tomeka Reid, die das Cello technisch beherrscht, als bräuchte es keinen Baß mehr. In Frankfurt, vor zwei Jahren, konnte sie in einem ganz schwachen Ensemble den Ruf Chicagos retten.
1Hamid Drake war auch bei Mazurek dabei; der Mann ist ein Gewinn, auch wenn er ganz hinten sitzt und einen weiteren Drum-Kollegen neben sich hat.
Wenige Stunden zuvor war es eine Kolleg*in, die Japanerin Yuko Oshima (Bild).
Ein spannender Dialog, ohne Frage. Schon weil sich handwerklich die drängende Frage nach der „Augenhöhe“ paritätisch beantworten ließ.
Aber dramaturgisch?
Welche Rolle bleibt neben einem Publikumsliebling, der noch die schlichte verbale Aufzählung seines Instrumentariums (Fell, Metall, Holz), ohne irgendeinen Beat darunter, zu einem perkussiven Akt veredelt?

erstellt: 02.11.18
©Michael Rüsenberg, 2018. Alle Rechte vorbehalten