JOHN HOLLENBECK & NDR BIG BAND Colouring Hockets ********

01. Opening (John Hollenbeck), 02. Cool Code (feat Percy Pursglove), 03. Entitlement (feat Frank Delle, Dan Gottshall, Matt Moran, Ingmar Heller), 04. Marimba Hocket (feat Patricia Brennan, Julius Gawlik, Luigi Grasso), 05. Shaking Peace (feat. Florian Weber, Matt Moran), 06. Drum Hocket (feat Sandra Hempel, Fiete Felsch), 07. Owts Hgis (feat Florian Weber), 08. Pure Poem, 09. Sum (feat Klaus Heidenreich, Julius Gawlik, Florian Weber)

John Hollenbeck - dr, timpani, Patricia Brennan - vib, mar, Glockenspiel, Crotales, Timpani, Matt Moran - vib, mar Glockenspiel, Tapan, JC Sanford - cond
NDR Big Band
Thorsten Benkenstein, Ingolf Burkhardt, Christian Höhn, Percy Pursglove - tp
Fiete Felsch - ss, as, cl, fl, a-fl Peter Bolte - ss, as, fl, Julius Gawlik - ts, cl, Frank Delle - ts, fl, cl, Luigi Grasso - bars, bcl, Dan Gottshall, Klaus Heidenreich, Stefan Lottermann - tb, Ingo Lahme - btb, Sandra Hempel - g, Ingmar Heller - b, Florian Weber - p, ep, Marcio Doctor - perc

rec. 11.12. - 16.12.2023
Flexatonic Records FLEX 003

Die Jazz Bigband Graz („Joys & Desires“, 2004), das Orchestre National de Jazz (2010), dreimal die hr Big Band, aka Frankfurt Radio Big Band (zuletzt 2019) - John Hollenbeck hat weite Teile der europäischen Jazz-Big-Band-Landschaft nach seinem gusto vermessen.
Eigentümlicherweise noch nicht mit Hilfe der WDR Big Band (die sich sklavisch an ihre verblühten Helden Vince Mendoza und Bob Mintzer bindet); potenzielle Kandidaten könnte man auch im Zurich Jazz Orchestra sowie in Schweden, in der Norbotten Big Band sehen.
Wohingegen die hr Big Band sich ihrer Vorrangstellung jüngst durch die Zuarbeit von Hollenbecks Konkurrenten auf dem Sektor der Big Band Innovationen, Darcy James Argue, sich versichert hat.
Jetzt also Hamburg, die NDR Big Band. Hollenbeck kennt sie als drummer, hat aber noch nie für sie geschrieben. Anregung und Auftrag kamen von argentinischen Perkussionisten und Big Band-Mitglied Marcio Doctor.
cover Hollenbeck ColouringHocketsHollenbeck & Doctor schwebte ein Kern-Quartett vor, das mit einem größeren verschachtelt wird und musikalisches Material hin- und herschiebt.
Steve Smith assoziiert in den liner notes dazu als Modell aus dem Barock das concerto grosso.
Neben Hollenbeck & Doctor gehören zum Kern-Quartett die beiden Schlegelspieler Matt Moran (langjährig in der Hollenbeck-Entourage) sowie die derzeit aus guten Gründen sehr gefragte Patricia Brennan.
Noch weiter zurück in die europäische Musikgeschichte greift eine andere Referenz, die bereits im Titel der Produktion „Colouring Hockets“ zum Ausdruck kommt, „hocket“, bzw. hoquetus: zwei oder mehr Stimmen wechseln sich Note für Note im Vortrag einer Melodie.
Am ohrenfälligsten wird der Titel in „Marimba Hocket“ eingelöst, hier entfaltet sich wirklich eine farbenfrohe Polyphonie über einem punktierten Groove.
Den Assoziationen des Titels zum Trotz lässt sich „Drum Hocket“ schwergängiger an. Es ist mit 10:57 das zweitlängste Stück des Albums, und sicher nicht einer seiner Höhepunkte.
Doch, was soll man sagen? Schon der nächste track, „Owts Hgis” (rückwärts für ”Two Sighs“), nimmt einen - wieder - in Bann durch ein schlangenhaft sich auf- und abwärts bewegendes Thema. Ein ostinato-Hammer! - der peu a peu die Haut, sprich: die Klangfarben, wechselt. Bis zum Schluss davon ein Skelett, ach was ein Sklelettchen übrig bleibt, in Form von Florian Webers Tastenspiel in der obersten Lage, bei dem der Anschlag wichtiger scheint als die Klangfarbe.
Was für eine Kompositions-, was für eine Arrangierleistung!
Und dann heist es: fasten seatbelts! „Pure Poem“!
Das Stück beginnt mit eine Percussion-Intro mit dem Komponisten/Arrangeur an der Pauke. Bei 1:46 kippt das Stück in einen Drehwurm, wie man ihn noch nicht gehört hat. Ja, was geht denn hier ab?
Hollenbeck spricht von „melodischen Zellen“, die repetiert, variiert, vor allem durcheilt werden. Der Drehwurm klingt, als sei er für die (rumänische) Fanfare Ciocărlia geschrieben. Zur Kompositions- und Arrangierleistung tritt hier noch eine Interpretationsleistung hinzu. Das muss man erst mal spielen können.
„Colouring Hockets“ schwingt aus (wie könnte es anders sein?) mit einer Hymne, mit „sum“.
Nachdem die Live-Version von „Letters to George“ (Jazzfest Berlin 2024) Lücken offenbarte, reiht sich „Colouring Hockets“ ein in die Serie herausragender Hollenbeck Big Band-Produktionen. Das möchte man live erleben!

erstellt: 22.12.24
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