CHICK COREA AKOUSTIC BAND Live ********

CD 1
01. Morning Sprite (Corea), 02. Japanese Waltz, 03. That old Feeling (Fain, Brown), 04. In a sentimental Mood (Ellington), 05. Rhumba Flamenco (Corea), 06. Summer Night (Dubin, Warren), 07. Humpty Dumpty, Set 1 (Corea)

CD 2
01. On green Dolphin Street (Kaper, Washington), 02. Eternal Child (Corea), 03. You and the Night and the Music (Schwartz, Dietz), 04. Monk´s Mood (Monk), 05. Humpty Dumpty, Set 2 (Corea), 06. You´ re everything

Chick Corea - p, John Patitucci - b, Dave Weckl - dr, Gayle Moran Corea - voc (CD2/6)

rec. 13.01.2018

Concord Jazz CJA00291

Chick Corea ist am 09.02.2021 verstorben.
Diese Veröffentlichung war noch zu Lebzeiten geplant (für Mai 2021), es ist die erste posthum. Im Grunde aber wird sie nur posthum nachgereicht, denn sie ist nicht mal neu; discogs.com verzeichnet für 2018, also für das Jahr der Aufnahme, eine Doppel-CD mit denselben Metadaten auf dem Stretch-Label.
Was nun vorliegt, ist, streng genommen, eine Re-Issue - in die Privat-Sammlungen wird sie aber als „neu“ Einzug halten.
Der Live-Mitschnitt datiert vom 13. Januar 2018 in St. Petersburg, nein, nicht in RU, sondern in Florida. Es war der Auftakt einer Tournee, die das Trio im Juli 2018 auch nach Europa führte, beispielsweise in die Philharmonie Essen.
Für den Übermut, ja die Albernheit dort, wie sie sich in Publikums-anbiederndem sing-along zeigten, war hier kein Platz.
(Wir wären aufgesprungen für Momente von Eleganz & Dringlichkeit wie hier in „You and the Night and the Music“).
St. Petersburg/FL, das schreibt Corea in den liner notes, bestand aus einer „kurzen Probe und zwei Shows am nächsten Abend“.
Mit anderen Worten, die drei mussten erst mal oder wieder erst mal Tritt fassen in einem Repertoire, das ihnen freilich so fremd nicht dürfte erschienen sein.
„On green Dolphin Street“ findet sich ebenso wie „Morning Sprite“ und „Humpty Dumpty“ auf dem Vorgänger-Album „Alive“ (1990).
Die Schnittmenge des Akoustic Trios mit seinen Studio-Debüt von 1989 ist kleiner, sie besteht nur aus „Morning Sprite“.
Cover Corea liveDamit beginnt dieser Konzertmitschnitt aus St. Petersburg/FL; „Morning Sprite“ ist ein idealer opener, er enthält in nuce vieles, was Chick Corea schlechthin ausmacht: seine gleichsam „hüpfende“ staccato Melodik („Spain“, „Some Time ago“, man kann x-Beispiele dafür finden); ein Wechsel der Grooves zwischen binär (hier: Latin) und ternär (hier: moderater swing); drum-solo gegen riff (wovon das Trio an diesem Abend reichlich Gebrauch macht, machmal auch in der Form von „trading fours“).
Ein anderes Corea-trademark, das ausgesprochen Spanische, zeigt er erst im fünften track, und auch nicht eines der diesbezüglichen Schlachtrösser, sondern „Rhumba Flamenco“ (erstveröffentlicht 2001 auf „Past, Present & Futures“ mit Avishai Cohen und Jeff Ballard).
Duke Ellington gehört gerne in Corea´s Repertoire, hier „In a Sentimental Mood“). Der andere Standard im ersten Teil ist „Summer Night“ von Al Dubin und Harry Warren, übrigens der zweite Walzer auf CD 1.  Und man mag streiten, ob er hier 3/4 oder 6/8 spielt, es ist eh ein Format, das dem Trio bestens liegt.
Zum Abschluß dieses Teiles dann „Humpty Dumpty“ (aus „The Mad Hatter“, 1978).
Dieser uptempo swing gefällt den dreien so gut, dass sie ihn in einer Alternativ-Version auch auf CD2 untergebracht haben.
Der Übergang von CD1 auf CD2 geschieht sozusagen „nahtlos“, in Gestalt des nächsten uptemp swing, nämlich des Standards „On green Dolphin Street“. Eingewebt aber auch hier gelegentlich Latin-Takte.
Überhaupt Standards, CD2 ist geprägt davon, mit dem Höhepunkt „You and the Night and the Music“, ein Bravourstück für John Patitucci. Sein Baß-Solo besteht aus motivischer Improvisation (er phantasiert zwar auch über die changes, verarbeitet aber immer auch Elemente des Themas), zum Schluß zelebriert er das Thema noch einmal arco, also gestrichen.
Nach „Monk´s Mood“, noch einmal „Humpty Dumpty“, mit seinem Piano-Intro zögert er den swing-Groove noch einen Moment heraus - er folgt mit ungeheurer Eleganz & Präzision. Ein jeder hat noch einmal ein Solo, Corea interveniert geschickt in das von Dave Weckl, indem er ihm ein Zitat („Seven Steps to Heaven“) herüberreicht.
Das hätte es sein können, der krönende Abschluß eines beeindruckenden set.
Aber nein: der Abschluß ist ein Absturz, CC muss unbedingt das „Genie“ auf die Bühne bringen, mit dem er seit 46 Jahren verheiratet ist: seine Ehefrau Gayle Moran Corea. Das Foto, das von diesen letzten letzten zwölf Minuten des Konzertes im booklet zu sehen ist, entspricht der vokalen Leistung. Es muss wohl Liebe sein, wenn man seine Liebste in einer Art Nachtgewand vom Piano her anhimmelt - und Gesang begleitet, der nicht einfach von Intonationsschwankungen gekennzeichnet ist, sondern von einer Serie scheiternder Intonationsversuche.
Ein mitreißendes Konzert schließt mit einer großen Peinlichkeit!

erstellt: 11.09.21
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