DJANGO BATES´ BELOVED & NORBOTTEN BIG BAND Tenacity **********

01. Cordial (Bates), 02. Ah Leu Cha (Charlie Parker), 03. Donna Lee, 04. Laura (David Raksin), 05. Confirmation (Parker), 06. We are not lost, we are simply finding our Way (Bates), 07. The Study of Touch,  08. My little Suede Shoes (Parker), 09. Star Eyes (Raye, Paul), 10. Tenacity (Bates)

Django Bates - p, voc, Petter Eldh - b, voc, Peter Bruun - dr, voc
Norbotten Big Band
Hakan Broström - ss, Jan Thelin - cl, Mats Garberg - fl, Karl-Martin Almquist - cl, ts, Per Moberg - bars, Bo Strandberg, Magnus Ekholm - tp, Dan Johansson, Jacek Onuszkiewich - tp, Peter Dahlgren, Ashley Slater, Björn Hängsel - tb, Daniel Herskedal - tuba, Markus Presonen - g


rec. 2013

Lost Marble LM 009

Man darf gespannt sein (oder auch nicht), ob das Sensorium der Fraktion der gemeinen Jazzkritik ausreicht, (die bei Künstlern wie Makaya McCraven oder Kamasi Washington schon in Ohnmacht fällt und wie im Tagesspiegel bei ersterem schon „ein neues Musikzeitalter“ angebrochen hört), dieses Album überhaupt wahrzunehmen und angemessen an der Spitze des immer noch andauernden wunderbaren, heutigen Musikzeitalters zu platzieren.
Denn da gehört es hin.
Wie auch immer man den Olymp des britischen Jazz bemessen mag - ob zwölf, fünf oder auch nur drei Musiker*innen dort Luft haben - Django Bates muss unter ihnen sein.
Am Tag der Veröffentlichung - 2. Oktober 2020 - wird er sechzig.
„Tenacity“ (Hartnäckigkeit, aber auch Beharrlichkeit, Zähigkeit) ist ein treffender Titel, ja ein Begriff, in dem Selbstbeschreibung und Außenwirkung kongruent sind.
Ein anderer, treffender Begriff mit dem gleichen Bedeutungsfeld wäre die von Frank Zappa entlehnte conceptual continuity: es spielt, es arrangiert niemand so wie Django Bates.
Nun gibt es im Jazz der Gegenwart mehrere exzellente Arrangeure und, ja ausdrücklich auch -Innen, z.B. Maria Schneider. Aber allenfalls noch John Hollenbeck kehrt den Gepflogenheiten des Genres dermaßen den Rücken zu wie das Geburtstagskind aus London (das heute in Bern lehrt).
Der Unterschied, nicht unbedingt der Rang, zwischen beiden ist deutlich:
während Hollenbeck viele externe Quellen heranzieht, arbeitet Bates sozusagen mehr aus dem Material heraus, geht spielerischer vor, ja vernarrt ins Detail - er ist ein Jongleur. Minimal-Einflüsse beispielsweise hört man bei ihm gar nicht.
Und noch ein bedeutender Unterschied: Hollenbeck, der Schlagzeuger, steht häufig nur am Pult; Bates, der Pianist, wirkt mit, seine Tongewusel, seine absaufenden Tonhöhen auf dem Keyboard sind eine ganz eigene Marke.
(Da beide jeweils auch auf die Frankfurt Radio Big Band sich stützen, wäre vielleicht aufschlußreich, von Seiten der Mitwirkenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu hören.)
cover bates tenacity„Tenacity“ wird Ende Oktober 2020 mit den Frankfurtern auf dem Deutschen Jazzfestival aufgeführt, die Premiere war am 28. August 2013 mit der schwedischen Norbotten Big Band in der Royal Albert Hall zu London.
Die Aufnahme entstand in diesem Zeitfenster, allerdings in einem Studio in Pitea/Schweden (das booklet teilt wohl den Ort, aber nicht das Datum mit).
„Tenacity“ muß konzeptionell also anders „datiert“ werden.
Es ist nicht der Schluß, es steht mittendrin in der Beschäftigung Django Bates´ mit der Musik von Charlie Parker (der Anlass der Veröffentlichung des Albums, der 100. Geburtstag Parkers erscheint nur nachgeholt).
Begonnen hat diese Phase 2008 mit dem Trio-Album „Beloved Bird“.
Schon da beschränkt er sich nicht auf den Bebop-Klassiker, sondern mischt eigene Stücke darunter. Das geht so über "Confirmation" (2011) und  „Tenacity“ bis zu dem 2016 entstandenen Trio-Album „The Study of Touch“, wo nur noch eine Parker-Interpretation übrig bleibt.
Die Vorstellung, Parker a la Bates nun im Großformat zu erleben, wird freilich oft unterlaufen. Am deutlichsten trifft sie zu auf „Laura“, am wenigsten auf „Confirmation“, wo das Kerntrio große Anteile hat.
So stellt sich das mit 7 Jahren Abstand auch in der Erinnerung aus der Live-Premiere in der Royal Albert Hall dar. Quasi wie „neu“ zu entdecken sind hingegen die Finessen der Arrangements, das Füllhorn an Ideen im Kleinen, die große Form, die Parkers Improvisationssvorlagen in einen ganz andern Rang hebt - vieles seinerzeit von der Hallenakustik der RAH geschluckt.
Die häufigen Tempowechsel, die thematischen Verschiebungen, die Brüche, die Kontraste - „Donna Lee“ haben viele bestimmt noch nie so gehört: das Thema wird in zahllosen Varianten durchgeschüttelt; man meint den ganz frühen Django Bates mit seiner Vorliebe für township music wiederzuerkennen. Ein vamp aus 4 Noten spielt die Hauptrolle (die Idee stammt aus der Triofassung aus „Confirmation“, 2011), aus ihm schälen sich nun noch deutlicher Dub- und Reggae-Elemente heraus, die insbesondere von den Bläsern akzentuiert werden.
Einen ebenso abenteuerlichen Parcours gönnt Bates „The Study of Touch“, das schon als Titel des gleichnamigen Albums 2016 zu beeindrucken wusste. Ein Stück mit scharfen Akzenten und Pausen (stop times), das thematisch letztlich auf einem tief ausgekosteten Ruf-Antwortspiel aus je fünf Noten besteht.
Parkers „My little Suede Shoes“ kommt, wie gewohnt, als verdrehter Calypso daher, das auch von ihm geschätzte „Star Eyes“ als großes Kino.
Happy Birthday, Django. Du bist, nach dem unterkomplexen Ausflug zu den Beatles („Saluting Sgt. Pepper“) auf der Höhe deiner Möglichkeiten, once again!

erstellt: 06.08.20
©Michael Rüsenberg, 2020. Alle Rechte vorbehalten