GEBHARD ULLMANN-HANS LÜDEMANN-OLIVER POTRATZ-ERIC SCHAEFER mikroPULS *******

01. Flutist with Hat and Shoe (Ullmann), 02.Enge Bewegung (Lüdemann), 03. F.J.D. (Ullmann), 04. Head Quarter (Schaefer), 05. Ankunft (Lüdemann), 06. Human Body Upgrade (Potratz), 07. Tanz der Mikroben (Lüdemann), 08. Zeit Lupe (Ullmann)

Gebhard Ullmann - ts, Hans Lüdemann - p, virtual p, Oliver Potratz - b, Eric Schaefer - dr

rec. 21.+22.06.2017
Intuition INT 3448 2

Der Jazz ist im wesentlichen chromatisch organisiert. Intervallschritte unterhalb eines Halbtones sind selten, sie kommen vor, ja.
"im Jazz gehören mikrotonale Ereignisse (…) durchaus zur Tradition“, wie Wolfram Knauer in seinen instruktiven liner notes schreibt.
Er verweist zurück auf die Tonverschleifungen bei Bessie Smith oder Billie Holiday, bei Ben Webster oder John Coltrane, schließlich auch auf die mehr systematischen Ansätze bei Don Ellis (Vierteltontrompete) und den Bezug von Joe Maneri aus der griechischen, türkischen und syrischen Musik, ab Mitte der 90er Jahre.
Angeregt durch dieses Beispiel stieß auch Gebhard Ullmann auf dieses Thema, Knauer nennt ihn zurecht „einen der umtriebigsten Saxofonisten der deutschen Jazzszene“.
Ullmann hat einen satten, ausgereiften Ton auf dem Tenor, inklusive multiphonics (Überblastechniken), er glänzt auf Klarinetten und besticht häufig auch in konzeptionell starken Formaten (ob so einer je den Albert Mangelsdorff Preis erhalten wird?).
Zu seinem Sechzigsten (2017) immerhin wurde er mit dem Berliner Jazzpreis bedacht. Verbunden war dies mit einem Konzert im Kleinen Sendesaal des RBB, mit - gleichfalls aus Berlin - der Rhythmusgruppe aus Oliver Potratz und Eric Schaefer (der hier weitaus mehr überzeugt als in seinem eigenen „Kyoto Mon Amour“-Projekt aus dem gelichen Jahr) und dem aus dem Rheinland angereisten Pianisten Hans Lüdemann.
cover mikropulsDer hat das Thema „Mikrotonalität“ etwa zum gleichen Zeitpunkt entdeckt wie Ullmann, aber mehr dazu veröffentlicht. Und natürlich auch mit einem Mehraufwand an instrumenten-technischen Voraussetzungen konfrontiert ist, wozu u.a. ein Piano in Vierteltonstimmung gehört.
Ullmann hingegen musste nur die Gis-Klappe seines Tenor-
saxophons umbauen, alle anderen erwünschten Töne kann er nach eigenen Angaben durch Griffkombinationen zum Klingen bringen.
Vierteltönigkeit, allein der Begriff mag den einen oder anderen schon zusammenzucken lassen. „Katzenmusik“!
Aber, momendemal, wir sind im Jazz, da werden „Experimente“ nicht mit solcher Konsequenz durchgestanden wie in der Neuen Musik. Da hält man sich zum einen durch die Rhythmik ein Hintertürchen- ach was: ein Scheunentor offen. Wenn´s groovt, kann man ein Flackern im Oberstübchen ganz gut ertragen.
„Wenn überhaupt“, so betont denn auch Knauer, „nehmen wir sie (die mikrotonalen Ereignisse, Anm. JC) als konstruktiv-kreative Irritationen wahr, die zur individuellen Klangsprache…“ dazugehören.
Oder, wie der gemeine Kölner sagen würde: „Die tun doch nix, die woll´n doch nur spille!“
Eben. Sie durchmischen das Mikrotonale häufig mit dem Tonalen.
Ein geradezu genialer Kunstgriff in diesem Kontext ist „F.J.D.“ - eine Paraphrase im neuen Stile einer Vorlage, die wir alle kennen: „Freedom Jazz Dance“ von Eddie Harris.
Weil unsere Hörerfahrung mit dem Original (und seinen zahlreichen Bearbeitungen) die meisten Irritationen wie ein doppelter Boden schluckt, können wir sie als Abweichungen von den Erwartungen regelrecht genießen. Zumal Ullmann hier mal wieder ein großes Solo spielt, und die Rhythmusgruppe wunderbar einen Funk-Rhythmus umschleicht und nur gelegentlich auch ausführt.
Schaefer´s „Head Quarter“ ist kurz und steht wohl der Neuen Musik am nächsten, wohingegen man dem Thema in Lüdemann´s „Enge Bewegung“ den Charakter einer Kantilene, also der Singbarkeit, attestieren möchte. Mit anderen Worten, es scheint immer wieder auch Diatonik durch.
Apropos Groove, das Thema von „Tanz der Mikroben“, Samba-verwandt, möchte man sich durchaus zutrauen, nach einem gekonnt Brötzmann´schen Saxophonausbruch mitzupfeifen.
Der schwankende Gang, der sich hier als Bild für das gesamte Stück anbietet, er bereitet nichts als Vergnügen.

erstellt: 11.09.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten