MILES DAVIS Rubberband **

01. Rubberband Of Life (Loffman, Wilburn jr., Davis, Zane Giles, Arthur Haynes), 02. This Is It (Holzman, Randy Hall, Davis, Zane Giles), 03. Paradise (Zane Giles, Wilburn jr., Hall, Davis, Medina Johnson), 04. So Emotional (Zane Giles, Wilburn jr., Hall, Johnson), 05. Give It Up (Zane Giles, Hall, Davis), 06. Maze (Miles Davis),  07. Carnival Time (Neil Larsen), 08. I Love What We Make Together (Zane Giles, Hall, Davis), 09. See I See (Holzman, Hall, Davis, Zane Giles), 10. Echoes In Time/The Wrinkle (Zane Giles, Wayne Linsey, Hall, Davis), 11. Rubberband (Zane Giles, Hall, Davis)

Miles Davis - tp, keyb, Arthur Haynes - b (1), King Errison, Steve Reid, Munyungo Jackson - perc, Randy Hall, Isaiah Sharkey, Felton Crews - g, Arthur Haynes, Anthony Loffmann, Adam Holzman, Attala Zane Giles, Javier Linares, Wayne Linsey - keyb, Vince Wilburn jr - dr, perc, Michael Paulo - as, fl, Glenn Burris - as, Medina Johnson - voc (3), Lala Hathaway - voc (4), Mike Stern - g (6,11), Bob Berg - ss (6), Robert Irving III - keyb (6), Marilyn Mazur - perc (6), Rick Braun - tp, tb (8)


rec. 10/1985 - 01/1986
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Was auch immer die Erben und Tonträgerkonzerne von Miles Dewey Davis (1926-1991) aus den Archiven geholt haben und noch weiter aus ihnen herausbretzeln werden - zum Umschreiben der Jazzgeschichte geben sie keinerlei Anlass.
Kein einziger der zahlreichen alternate takes hat die Gültigkeit der Erstveröffentlichungen auch nur relativiert, geschweige denn ins Wanken gebracht.
Im Gegenteil: vielen Heldenerzählungen zum Trotz gaben sie die beruhigende Einsicht frei, dass auch dieser oft einsame Held den Mühen der Etappe ausgesetzt war. Die zu seinem Lebensende hin obendrein von kaum nachvollziehbaren Entscheidungen zusätzlich beschwert wurde, vor allem im Hinblick auf seine letzten Arbeiten im Studio.
„Rubberband“ gibt davon beredt Zeugnis.
Davon zu berichten, reicht es nicht, die offzielle PR-Erzählung weiterzureichen, wonach der seinerzeit beteiligte Neffe Vincent Wilburn jr. 28 Jahre nach ihrem Entstehen die damalige Produktion „wieder-entdeckt“ (Guardian) und nun vervollständigt habe.
Die weitaus größere Hälfte der Geschichte kann man seit Jahren nachlesen, z.B. bei Paul Tingen („Miles Beyond. The Electric Explorations of Miles Davis, 1967-1991“, 2001) oder ausführlicher noch bei George Cole („the last miles. The Music of Miles Davis, 1980-1991“, 2005).
Es ist die Geschichte eines Scheiterns.
„Rubberband“ ist das Vor-Echo zu „Tutu“.
Und auch wenn man den Rang von Tommy LiPuma (1936-2017) als Produzent für Miles Davis keineswegs dem eines Teo Macero (1925-2008) gleichsetzen möchte, fügt sich die Weigerung des ersten, „Rubberband“ zu veröffentlichen, in eine Linie vortrefflicher Entscheidungen des letzteren.
Und dies allen Bekundungen der bei "Rubberband" Beteiligten zum Trotz, die von „abenteuerlich“ und „vielfältig“ faseln - sie stammen fast alle aus der zweiten und dritten Reihe.

Von CBS zu WB

„1985 ist eines der großen Rätsel seiner Karriere“, schreibt Paul Tingen.
Miles verlässt Columbia Records nach über 30 Jahren. Die kolportierten Gründe (Columbias Weigerung, für den Digitalmix von „Aura“ 1.400 Dollar bereitzustellen, der als Konkurrenz empfundende Aufbau eines weiteren Trompetenstars namens Wynton Marsalis) werden von Insidern bestritten.
Bei Warner Brothers kassiert Miles allein für die Unterzeichnung des Vertrages eine siebenstellige Summe, avanciert also on the spot zum Millionär. Ein Schritt, der teuer erkauft ist: Miles muss die Hälfte der Tantiemen an vorhandenen und zukünftigen Kompositionen an das Label abtreten.
Als möglichen Grund vermutet Mark Rothenbaum, der Miles-Manager, die geradezu panische Angst seines Klienten vor Verarmung.
Die Konsequenz: Miles zieht sich als Autor noch mehr zurück, er firmiert nicht mehr als Komponist oder noch als Co-Komponist. Er will einen Richtungswechsel, er will ein populäres, „schwarzes“ Album - und lässt sich Songs dafür schreiben.
Er rekrutiert eher jazz-fernes Personal aus seiner jüngeren Vergangenheit: Randy Hall, Robert Irving III sowie seinen Neffen Vincent Wilburn jr.
Wir kennen sie aus den beiden seichten tracks von „The Man with the Horn“ - übrigens die beiden einzigen, die Teo Macero den Nachwuchskräften 1981 durchgehen ließ.
Wie heißt der schöne Satz?
„Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce!“
Im Oktober 1985 sind Hall, Irving III, Wilburn jr sowie ein Kumpel von ihnen, Attala Zane Giles, wieder da.
Adam Holzman, der wenig später auch zur Live-Band gehören würde, wird von jetzt auf gleich aus einem Keyboard Shop heraus verpflichtet, wo er so eindrucksvoll den Oberheim Synthesizer vorgeführt haben soll. Ein paar Wochen später gehört er zu Miles´ touring band (tatsächlich ist er ja keyboarder bei The Fents).

Lipuma´s take over

cover md rubberband 1Was heute unter dem Originaltitel „Rubberband“ erscheint, enthält ein Stück aus einer Art Vorschaltsession (Record Plant, Los Angeles, 23./24.09.85), das Miles Davis mit seinem damals aktuellen Oktett aufnimmt.
Mike Stern hat ein Solo, Bob Berg eines auf dem Sopransaxophon; thematisch und von der uptempo Basslinie her (Angus Thomas) steht „Maze“ im Einklang mit dem 80er Jahre Jazzrock von Miles.
Tommy LiPuma, damals Chef der Jazz-Abteilung bei Warner Brothers, so lässt George Cole durchblicken, habe bei der Session mal kurz hereingeschaut.
„Maze“ ist nun von neun Minuten auf die Hälfte gekürzt und aller solisti-
schen Expressivität beraubt, es steht stilistisch quer zu den anderen 10 tracks.
Aus den Ameraycan Studios, wo Tage später „Rubberband“ entsteht, hält der Chef sich erst mal heraus. Dass „Maze“ heute überhaupt in diesem Kontext erscheint, kann man als Tommy-LiPuma-Hommage hören.
Sein Urteil über „Rubberband“ („ziemlich ungehobelt, versackt in steifen Rhythmen und einem Mangel an melodischem Material sowie hervorstechenden vamps“, wie es Paul Tingen weitergibt) gilt dem ganz großen Rest - dessen Weg an die Weltöffentlichkeit er dann zu verhindern wusste.
Wie LiPuma sich einen Pop-Miles vorstellte, hat er dann zwei Wochen nach „Rubberband“, im Februar 1986, mit Hilfe u.a. von George Duke (1946-2013) und Marcus Miller umgesetzt: „Tutu“.

"Rubberband" (1985/86) > "Rubberband" (2019)

George Cole („the last miles“), dem es vergönnt war, die Originale der „Rubberband“-Sessions zu hören, verwendet allein sechs Seiten in seinem Buch, um die einzelnen tracks en detail zu beschreiben.
Eine aurale Rekonstruktion fällt deshalb nicht allzu schwer, und sie stützt das heutige Urteil, wonach die Miles-„Neffen“ in aller Naivität den akustischen Zeitgeist der Mittachtziger Jahre restauriert haben.
Günther Huesmann (SWR2) spricht zuecht von einem „Griff in die Puderdose der Digitaltechnik“.
Wir hören also den ganzen Synthie-Kram jener Zeit, die Unwucht der Rhythmen aus dem drumcomputer; in „Paradise“ (ursprünglich „Let´s fly away“) z.B. eine Steeldrum-Spur aus dem keyboard - man möchte es dem nächsten Bordfest auf dem ZDF-„Traumschiff“ empfehlen.
Für „Carnival Time“ gilt ähnliches; die programmierten tom toms klingen einfach nur „steif“ (LiPuma), den „fröhlchen Charakter“, den Cole aus dem Getöse herauszuhören meinte, hat Miles später drei Jahre lang live deutlicher konturiert.
Den wenigsten Stücken gelang der Sprung ins Live-Repertoire, am längsten konnte sich „Wrinkle“ dort halten, von 1986 bis zu seinen letzten Konzerten 1991.
„Wrinkle“ hier ist freilich nur ein schwaches Vor-Echo der Hochtempo-Version, die Miles später in Montreux 1990 spielt (mit Richard Patterson, bg, Ricky Wellman, dr, Kei Akagi, keyb; veröffentlicht auf „Live around the World“).
Wie der Buchautor Cole zu seiner Wertung gelangt, „Rubberband“ sei „das abwechslungsreichste Album, das Miles je aufgenommen hat“, erscheint rätselhaft. Die meisten tracks hecheln der afro-amerikanischen Popmusik jener Jahre nach, ohne auch nur einen Zipfel von deren Dringlichkeit, ja auch Beseeltheit zu erfassen.
Vielleicht muss man berücksichtigen, dass die damaligen Jung-Produzenten auch darin gescheitert sind, personell das Ganz Große Rad zu drehen.
„I love what me make together“ z.B. war gedacht gedacht für Al Jarreau, in der fertigen Version ersetzt heute Randy Hall die Vokalspur von Zane Giles von 1985.
„So emotional/Lalah Song“ (ursprünglich „No time for Show Time“), sollte Chaka Khan singen, die freilich nie von dieser potenziellen Einladung erfahren haben will. Lalah Hathaway ist nun wirklich kein schlechter Ersatz, aber die Vorlage zu schwach, um sie zu einer solchen Glanzvorstellung wie seinerzeit bei Robert Glasper zu bewegen.
Apropos Robert Glasper; der hat zwar schon einmal die Chance, Miles zu bearbeiten, versemmelt.
Aber hey, wie heißt noch der Slogan?
War das nicht „everybody has a second chance“?
Es zeugte von Größe, hätten die damaligen Jung-Produzenten das „verschollene“ Material (das teilweise ja live schon ein erhebliches upgrade erfahren hat) dem Sandstrahl der Gegenwart ausgesetzt.
Vielleicht durch die Mithilfe von Robert Glasper.
Ein Vorschlag aus Verzweiflung…

erstellt: 01.09.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten