LAURA JURD Stepping Back, Jumping In **********

01. Jumping in (Jurd), 02. Ishtar (Elliot Galvin), 03. I am the Spring, you are the Earth (Lolavar), 04. Jump Cut Shuffle (Jurd),  05. Companion Species (Lauvdal, Johannesdottir), 06. Stepping back (Jurd)

Laura Jurd - tp, Raphael Clarkson - tb (3,5,6), Alex Paxton - tb (1,2), Martin Lee Thomson - euph, Soosan Lolavar - kantoor, Rob Luft - banjo, g, The Ligeti Quartet: Mandhira de Saram - v, Patrick Dawkins - v, Richard Jones - va, Cecilia Bignal - vc, Elliot Galvin - p, Anja Lauvdal - synth, electronics, Conor Chaplin - b, Liz Exell - dr, Corrie Dick - dr

rec. 04.+05.03.2019
Edition Records EDN1131

„Misogyn“, wie von der SZ scharf analysiert, hat JC Laura Jurd vor einiger Zeit zwar bemerkt, aber nicht sonderlich beachtet. Die Kunst ihres Trompetenspieles - britische Kollegen waren davon sehr angetan -, das Konzept ihres Quartetts, mochten in Köln nicht so recht zu überzeugen.
Also wurde, als „Stepping Back, Jumping In“ dieser Tage eintraf, zusammen mit einer weiteren Produktion des Edition-Labels, jene beim kritischen Abhören bevorzugt.
Die Karenzzeit, soviel sei gelobt, währte nur zwei oder drei Tage.
Da nämlich machte Richard Williams in seinem fabelhaften Blog The Blue Moment auf das neue, das fünfte Album der 29jährigen Trompeterin aufmerksam. Es wurde eine Hymne.

Mit „There's a lot of scope“, beginnt er seinen „Schnelldurchgang durch das Album“, also mit dem üblichen Lob der Vielfalt. Und schließt ein paar Stockwerke höher mit „something of a triumph“.
Er hat recht. „Stepping Back, Jumping In“ ist nichts weniger als ein Triumph, vielleicht sogar ein Quantensprung.
Aber nicht so sehr im Hinblick auf den angeblichen Hauptparameter unseres Genres, die ewige Monstranz Improvisation (was in dieser Hinsicht geschieht, ist sowieso gut), sondern in puncto Komposition, besser noch: Konzeption.
Mit einem Auftrag der Londoner Konzerthalle „King´s Place“ im Rücken durfte Laura Jurd ein Ensemble aus 14 MusikerInnen zusammenstellen.
Darunter, selbstverständlich, die Mitglieder ihres Quartetts (herausragend in einer Doppelrolle Elliot Galvin), eine zusätzliche Schlagzeugerin (Liz Exell), das Ligeti String Quartet (das sie schon für ihr Debütalbum „Landing Ground“, 2012, eingeladen hatte), Soosan Lolavar, eine Kollegin vom Trinity Laban Conservatoire of Music & Dance (sie bedient das iranische Hackbrett Santoor), der Jazzgitarrist Rob Luft (der hier vorwiegend auf dem Banjo Furore macht), drei Blechbläser (siehe oben) und - last not least - eine norwegische Synthesizerspielerin namens Anja Lauvdal - eine Entdeckung.
Mit dieser Klangfarben-Versammlung allein ließe sich ein ordentlicher Budenzauber bewerkstelligen. Aber nein, Laura Jurd tritt zurück von der Bahnsteigkante (wie es Franz Müntefehring beschreiben würde) und läßt vier andere Züge mit Ideen passieren, darunter einen Elliot Galvin Express, der mit Mikrotonalität Anschlüsse sowohl an indische als auch an Neue Musik sicherstellt.
Dass diese „Züge“ nicht in verschiedene Richtungen abzweigen, sondern - um im Bild zu bleiben - auf einem Gleis nacheinander ihre Aufbauten entfalten, dass die Netzbetreiberin Jurd starke „Mitbewerber“ zulässt, zeugt von der Größe ihrer Konzeption.
cover jurd stepping 1Sie fährt als erste.
Ihr Album-Auftakt „Jumping in“ ist im Kern reiner Rock´n´Roll. Jedenfalls stützen sich die gewundenen staccato-Linien, in die sich Blechbläser, Streicher und Banjo einklinken auf eine Rock´n´Roll-Figur.
Gegen 0:50 ritardando - ein Zwischenhalt. Es geht weiter in reduziertem Tempo. Und in diesen tempo-armen Intermezzi spielt Laura manche Kombinationen durch: Steicher gegen Hackbrett, Bläser gegen Banjo, mitunter werden elekronische glitches akustisch nachgestellt, zum Schluß wird ein vamp a la King Crimson mit Hackbrett und Banjo kontrastiert.
„Ishtar“, der Galvin-Express, startet mit einer indisch intonierenden Solo-Violine über dunkel loderndem Synthie-Feuer.
Wie sich dann reale und elektronische Streicher glissandi bewegen, unterlegt von einem quasi von Pausen durchlöcherten drum-beat, das ist atemberaubend. Lokführer Galvin erlaubt sich zwischendrin eine frei-tonale Piano-Kadenz, Jurd führt sie zurück in tonale Gefilde.
Jazzmäßig gesprochen ist „Ishtar“ ein stück mit lauter stop times (Generalpausen), mehr und mehr koloriert ein warmes Synthie-ostinato den Hintergrund, die beiden Drummer übernehmen und transportieren allerleie filigrane Partikel von allen Instrumenten.
Am Schluß tänzeln verhallte Streicher über warmen filter sweeps von Anja Lauvdal.
Ein Stück mit Gänsehautcharakter, durchaus.
Dann tut sich eine sehr spezielle Mittelachse des Albums auf.
Mit dem dritten Stück „I am the Spring, You are the Earth“ von Soosan Lolavar bewegt es sich peu a peu aus einem Jazz-Rahmen heraus. Die Komposition basiert auf einem vom Ligeti Quartet gehaltenen Drone, der zunächst mikrotonal wie ein tiefer Sirenen-Alarm wabert, später, einem langen Ausklang, treten Einwürfe der Bläser, des Schlagzeugs, der Santoor hinzu.
Von jazztime, swing gar - keine Spur.
Es kommt noch doller: „Jump Cut Shuffle“ realisiert nichts von seinem jazz-gesättigten Titel: es ist weder ein Jump noch ein Shuffle, sondern ein reines Streichquartett-Stück, dessen Jazz-Bezug gegen Null tendiert. Es gibt ein paar Figuren mit „Beat“ bzw. riff-artigen Wiederholungen. Aber die kann man sich gut auch in der Autorenschaft eines Minimal-Komponisten vorstellen.
Ein Vorläufer zu diesem Phänomen, wo eine Jazz-KomponistIn vollständig ihre Gattung verlässt, ja weder solistisch noch im Ensemble in Erscheinung tritt, muss man in der Jazzgeschichte erst noch suchen.
In „Companion Species“ kehrt Laura Jurd wieder in den angestammten Kiez zurück. Zwar ist der Jazzbezug auch hier lose, das Hauptpflaster in einem 4/4-Takt wird von Synthie und Streicher piccicato gelegt; aber eine Kollektivimprovisation sowie eine solistische Trompete (Jurd) kennen wir doch zu gut aus dem Jazzlager.
Minimal-Figuren aus einem rhythmisch „hängenden“ Piano im Finale, „Stepping Back“. Laura Jurd greift diese Idee auf und verteilt wie Zwischenschnitte 2- und 3-Ton-Figuren auf Bläser & Streicher.
Ständig neue Wendungen, man ahnt nicht, was folgt; ein Spieluhren-artiger 6/8 a la Elliot Galvin gewinnt die Oberhand.
Ihr langjähriger Begleiter kehrt zurück mit der Anfangsfigur, Bläser darüber, Flageoletts von der akustischen Gitarre.
Das ist so wunderbar arrangiert, dass man es unbedingt in einem Kammermusik-Saal hören möchte.
Das könnte das Stichwort für diese Produktion sein: Jazz-Kammermusik.
„Stepping Back, Jumping In“ ist absolut anschlußfähig, ist die „wärmere“, europäische Alternative zum Neuen Thirdstream eines Ken Thomson, einer Anna Webber in Amerika.

erstellt: 27.06.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten