STEFAN AEBY TRIO The London Concert ********

01. Shi (Aeby), 02. Knabautsch, 03. The Wheel (Pousaz), 04. Dalston (Aeby), 05. Iuk, 06. Song for A., 07. To the Light

Stefan Aeby - p, André Pousaz - b, Michi Stulz - dr

rec. 24.04.2017

Intakt CD 315/2018


Der nördliche Nachbar darf sich wundern, die Eidgenossen selbst aber müssen erklären, warum ihre derzeit interessantesten Jazzpianisten überwiegend und ausgerechnet von jenseits des Rösti-Grabens, aus der Welsch-Schweiz, kommen bzw. dort geboren sind; worüber man immer wieder hört, dass der Jazz dort „abgehängt“ sei.
Michel Wintsch (1964, Genf), Colin Vallon (1980, Lausanne), Florian Favre (1986, Montagny-les-Monts) und auch Stefan Aeby (1979, Fribourg) - Herrschaften, die Diaspora ist fruchtbar!
Und zusammen mit anderen Kollegen aus der Schweiz belegt er im April 2017 ganze elf Tage im Londoner Vortex. Diese Produktion ist ein Mitschnitt daraus.
Wie bei Konzerten üblich prüft die Band erst mal Stimmung & Temperatur der location, hier mit „shi“, einem rubato-Brei, der um die Minute 5:00 kurz ein wenig rhythmische Spannung aufleuchten lässt, durch ein binäres Muster, dann aber wieder ins Parlieren abgleitet.
Wenig von dem, was sich dann ereignet, lässt sich von hier aus erahnen.
cover Aeby london 1„Knabautsch“ entsteht im gleitenden Übergang zu „shi“ durch ein bassdrum-snare-pattern von Michi Stulz (er ist mit der Sängerin Lisette Spinnler verheiratet, in deren Gruppe Aeby Colin Vallon am Piano abgelöst hat).
Stulz lässt die Akzente wandern, zusammen mit André Pousaz legt er so etwas wie einen gebrochenen backbeat zum mehr und mehr gospelig rockenden Piano des Bandleaders vor.
Oh ja, oh ja, hier die ist die Spannung, die der Auftakt schmerzlich hat vermissen lassen!
Und spannend geht es weiter.
„The Wheel“ basiert, wie „Knabatusch“, auf einem ostinato, aber einem kunstvoll mit Pausen versetzten 11/4.
Peu a peu entfaltet Stefan Aeby eine Eigenschaft, die man bei seinen Instrumental-Kollegen selten findet: er transformiert den Pianoklang.
Hier zunächst vorsichtig; im nächsten Stück, „Dalston“ (der Vorort Londons, wo das „Vortex“ liegt), rhythmisch gleichfalls locker binär (= Rock-bezogen), hört man schon kurze Echos, man hört loops vom Piano.
Und Michi Stulz hat große Momente in einem Schlagzeugsolo, das er dank eines hervorragend klingenden drumsets regelrecht thematisch anlegt. Es gibt keinen Grund, hier nicht endlich die Stilkarte auf den Tisch zu legen, die man schon die ganze Zeit in der Hand hatte: Jazzrock.
Diese Art „Beiläufigkeits-Gospel“ klingt auch im übernächsten Stück an, „Song for A.“ Im Beifang ein Piano, leicht verstimmt, das sich fast wie ein Wurlitzer E-Piano ausnimmt, ein bluesiger vamp in der linken Hand; wenn sich „A“ in diesem Rhythmus wiegt, möchte man schon gerne vorbeischauen.
In die Schlußrunde geht´s mit einer selten gehörten Idee, nämlich einem Baß-ostinato, nicht piccicato (gezupft), sondern arco (gestrichen). Aeby greift das Motiv auf und führt es in einer riesigen crescendo Bewegung ans Licht.
Auch hier assistiert ihm ein digitaler Helfer, ein Piano-loop im 3/4 Takt, auf den die gesamte Mannschaft einschwenkt.
Man möchte tanzen!

erstellt: 16.08.18
©Michael Rüsenberg, 2018. Alle Rechte vorbehalten