BILL BRUFORD
The Autobiography
352 S., Jawbone Press, London 2009
ISBN 978-1-906002-23-7

Dies ist kein Buch über flams, snare rolls, rim shots oder metrische Modulation. Ausgerechnet der Mann, der diese Techniken in einem der bedeutendsten Personalstile der Rockgeschichte formuliert hat, verweigert so gut wie jede Auskunft über das Wie seines Handwerks.

Drumheads werden den voluminösen Band deshalb vergeblich durchforsten. Kurz vor Schluß, auf Seite 294, mögen sie zwar auf vertraute Begriffe wie "flamadiddle" und "ratamacue" stoßen, verbunden freilich mit der für sie banalen Erklärung, es handele sich dabei um zwei von insgesamt 26 Übe- und Aufwärmpraktiken, übernommen aus der Tradition des Militär-Schlagzeugs.
brufordlogoDer Kontext macht hier die Musik. Die wenigen technischen Begriffe fallen in einem Kontext des - Scheiterns. Bruford schildert minutiös seinen Auftritt beim
Montreal Drum Fest, wo bis zu 1.500 "extrem kenntnisreiche" Schlagzeuger an drei Tagen jede Handbewegung eines halben Dutzends Stars der Zunft verfolgen. Wo nach seiner Beobachtung dem "sensationellen" Joey Heredia an einem gigantischen drum set nur noch der Helm fehle, um ihn nicht mit einem Formel-Eins-Piloten zu verwechseln. Wo der 83jährige Roy Haynes auftrete wie ein Cowboy, mit einer Band namens "The Fountain of Youth" (Bruford: "Hat ihm niemand gesteckt, dass man als älterer Mitbürger unmöglich so auftreten kann?")
Hier, beim Show-Trommeln, völlig unbemerkt von anderer Augen und Ohren, explodiert der fast vier Jahrzehnte unterdrückte Rollenkonflikt des Bill Bruford; der Kampf des Privatmannes Bruford (an anderer Stelle bezeichnet er sich als einen "Marks & Spencer Mann") mit der öffentlichen Figur Bruford, die "Illegitimität" seiner Karriere: "eigentlich sollte ich mir das alles gar nicht antun."
"Haynes ist mir ein Rätsel." Roy Haynes, das ist Brufords
Gegenmodell: "Seine Musikerrolle muß ihm so sehr in Fleisch und Blut übergegangen sein, dass sie untrennbar mit ihm verbunden ist. Mein Hintergrund hingegen besteht darin, der bewußten und fast verhängnisvollen Trennung der beiden Sphären: Hier das Musikerleben (gleich schlecht), dort das Privatleben (gleich gut) gerecht zu werden. Diese Strategie mag in der Vergangenheit redlich funktioniert haben, nun beißt sie mich in den Nacken. Ich zahle den Preis für den ausdauernden Versuch, die beiden unter einen Hut zu bringen."
Ein anderes Gegenmodell: jüngere Mitglieder aus seiner Band Earthworks wie
Tim Garland und Gwilym Simcock - Jazzmusiker, denen er sich in mancher Hinsicht unterlegen fühlt. Seine Autobiografie beschränkt sich nicht auf die Abfolge seiner Bands, Tourneen und Produktionen, es ist zugleich eine Auseinandersetzung mit dem Musik-Business, ein ironischer Szene-Report, eine sozial-kritische Studie und nicht zuletzt und vor allem - ein Lob auf den Jazzmusiker schlechthin.
"Mir fehlt in ausreichendem Maße das Handwerk eines Jazzmusikers. Um zu überleben, passt der Jazzmusiker sich an. Was ihn so wirtschaftlich und leicht einsetzbar macht, ist seine Fähigkeit, alles mit jederman zu jeder Zeit aufführen zu könen - und dabei auch noch gut zu klingen.
Im Gegensatz dazu besteht mein Hintergrund aus einem sehr kontrollierten Umfeld, wo Musik langsam entsteht, wo wochenlang kollektiv an ihr gearbeitet wird, bis sie dann "enthüllt" werden kann. Nichts muss schnell gehen. An dieses angenehme Umfeld bin ich gewöhnt, das habe ich unterbewußt versucht, auf den Jazz zu übertragen - und das hat nicht funktioniert.
Das A & O dort ist Notenlesen, sofort vom Blatt, und daran müsste ich sicherlich arbeiten, wollte ich mich weiter entwickeln. Formal bin ich ohne musikalische Ausbildung; ich bin ein Musiker, der Musik weder flüssig lesen noch flüssig schreiben kann. Im Gegensatz zu meinen Jazz-Kollegen geht es mir besser in einem langsameren, mehr kontrollierten musikalischen Umfeld. Das, im Gegenzug, behindert physische und künstlerische Mobilität. Die Fähigkeit, sich nach Lust und Laune zu verändern, sich in einer Umgebung permanenten Wandels wohlzufühlen - das ist die große Errungenschaft des künstlerisch und handwerklich reifen Jazzmusikers. Das ist und bleibt jenseits meiner Grenzen."
Bruford´s Autobiografie ist auch ein
Abschied, und die letzten Kapitel handeln fast ausschließlich davon. Mit Wirkung vom 01.01.2009, "nach 3.000 Konzerten und 100 CDs", tritt der Mann nicht mehr live auf, der das Schlagzeugspiel im Art Rock (heute progrock genannt) revolutioniert und später im Jazz immer auch ein wenig gefremdelt hat; der Mann, der "zuviel im Rock war, um Jazz zu sein" und "zuviel Jazz hat, um Rock zu sein", ein Musiker mit einem deutlichen Personalstil, dessen handwerkliche Selbstkritik, ja Selbstkasteiung, viele nicht werden nachvollziehen können.
Anderseits lässt Bruford uns nicht im unklaren darüber, dass er mit den meisten künstlerischen Entscheidungen seiner Karriere keineswegs hadert, mit dem Abschied von
Yes, von King Crimson, mit der Gründung seiner eigenen Band Earthworks.
Die 19 Kapitel-Überschriften des Buches lesen sich wie Fragen aus den aberhunderten von Interviews, die Bruford gehasst und doch immer wieder gegeben hat. Die Kapitel selbst folgen im großen und ganzen der Chronologie einer beeindruckenden Karriere. Und doch sind sie mehr als bloße Schilderung oder gar Vorwand zu Anekdoten oder um den beachtlichen Wortwitz des Autors Bruford auszustellen.
Das Buch ist
brillant geschrieben, mindestens so gut wie "The Real Frank Zappa Book" (1989). Im Gegensatz zu jenem aber wird man hier einen Co-Autor oder gar Ghostwriter vergeblich suchen. Bruford schreibt so elegant wie er spricht, und seine Ausflüge in die Literatur (er hat Simon Frith und Chris Cutler gelesen, auch Howard S. Becker, Richard Middleton und Yehudi Menuhin werden von ihm zitiert) sind einem Seminar geschuldet, das er Anfang dieses Jahrtausends in Guildford in Rahmen eines Bachelor-Studiums gegeben hat ("Populäre Musik des 20. Jahrhunderts von 1929 bis zur Gegenwart").
Nun denn, auch Bruford ist vor der einen oder anderen politischen Naivität nicht gefeit: wenn das Kabinett des britischen Premierministers so kooperierte wie "die legendäre Quintette von
Miles Davis, dann würde das Regieren ganz anders aussehen."
Gleichwohl ist seine Autobiografie weit mehr als ein persönliches Bekenntnisbuch; viele seiner klugen Beobachtungen summieren sich zu einer exzellenten Quelle für eine noch zu schreibende
Musiker-Soziologie. Etwa wenn er den Gürtel lockert, sich aufs Bett wirft und die Decke seines Hotelzimmers anstarrt. Hotelzimmer, gleich welchen Komforts, sind dem tourenden Musiker "heilig", Bandmitglieder besuchen einander nie in den jeweiligen Hotelzimmern - es sind die einzigen Refugien der Ruhe und des Privaten auf einer Tournee.

erstellt: 26.05.09
© Michael Rüsenberg, 2009. Alle Rechte vorbehalten

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