FRED HERSCH TRIO Live in Europe *********

01. We see (Monk), 02. Snape Maltings (Hersch), 03. Shuttles, 04. Skipping, 05. Bristol Fog (for John Taylor), 06. Newklypso (for Sonny Rollins), 07. The Big Easy (for Tom Piazza),  09. Miyako (Wayne Shorter), 10. Black Nile, 11. Blue Monk (Monk)

Fred Hersch - p, John Hébert - b, Eric McPherson - dr

rec. 24.11.2017

Palmetto PM2192

Die ersten fünf Sekunden dieses Albums sind so was von delikat!

Wie in einer Nußschale enthalten sie alles, was die folgende gute Stunde ausmacht.
„Die Band war in Top-Form, die Akustik perfekt, das Piano erstklassig und die Aufnahme erste Sahne“, schreibt Fred Hersch in den liner notes des Albums.
Der Ort: das Studio 4 im Flagey Building, im alten Radiohaus aus den 30er Jahren in Brüssel.
Das Studio muss man sich nicht als isolierte Tonkammer vorstellen; der Beifall nach den einzelnen Stücken zeigt an, dass durchaus ein paar hundert Zuhörer darin Platz gefunden haben dürften.
Verblüffend für alle, dass der Pianist gleich im ersten Satz seines kurzen Textes mitteilt, diese Aufnahme gehöre zu den „vielen“, die er veröffentlicht habe, ohne zu wissen, dass er mitgeschnitten worden sei.
Wenn er damit zum Ausdruck bringen will, dass er selbst überrascht war von dem Zeugnis, das er an jenem Abend in Brüssel ablegt - nun denn; solche Art Understatement ist uns allemal lieber, als würde er in der typischen Art seiner Landsleute mit dem Adjektiv „fantastic“ hausieren gehen.
Und dabei hätte er nicht mal unrecht…

cover hersch europeDie ersten fünf Sekunden also; während dieses Flügelschlages der Geschichte hört man nichts weiter als 11 Töne bzw. Akkorde vom Piano, vier Schläge auf die geschlossene hi-hat sowie zwei Töne vom Kontrabass.

Sofort weiß man: Monk!
Und: was für ein timing, was für eine Tongebung, was für eine Eleganz!
Das Trio hält uns dann noch mit Umspielungen des Themas und des Metrums hin, bis bei 1:50 - endlich! - der swing einsetzt und die Spannung löscht.
Aber nicht für lange, die folgenden vier Minuten geizen nicht mit Aufreger-Momenten, es ist Hin & Her von Variation & Interaktion.
Man könnte bei Daniel Martin Feige & Co., bei den versammelten Jazz-Philosophen, Zuflucht nehmen, um die Einzigartigkeit der Momente zu erkennen, ganz spezifische Eigenarten, vulgo: eine eigene Ästhetik.
Man kann sie aber auch einfach so feiern.
„Snape Maltins“ ist mehr vom Namen des Ortes inspiriert als von der Tatsache, dass es sich dabei um den Wohnort des britischen Komponisten Benjamin Britten (1913-1976) handelt.
Bei „Snape Maltins“ handelt es sich stilistisch wiederum um ein Kleinod; es klingt, als reichten sich Franz Schubert & Ornette Coleman die Hand, rhythmisch ein rubato (unter uns, ein Modus, in dem die hoch-gefeierten The Bad Plus eine Menge vom Hersch Trio lernen könnten.) Und es ist außerdem ein Feature für John Hébert, der den Kontrabass mitunter auch akkordisch tönen lässt.
„Scuttlers“ imitiert das Geräusch seitwärts krabbelnder Krabben; Eric McPherson reicht dazu voll und ganz der Rand der snare drum; das Stück lebt von einer pointilistischen Tongebung.

Mit  der lockeren Walzer-Ballade „Bristol Fog“ kommt eine weitere britische Widmung ins Spiel, an John Taylor (1942-2015), gefolgt von einer Hommage an Sonny Rollins, dessen Rhythmik der Titel („Newklypso“) schon ausplaudert.

„The Big Easy“, Spitzname für New Orleans, ist dem dort lebenden Schriftsteller und Jazzfan Tom Piazza gewidmet; ein Blues, der auf - den zu erwartenden - New Orleans back beat verzichtet. Dafür geht Fred Hersch in seinem langen Solo, teilweise in Triolenketten, mit delikaten Dissonanzen aus der Blues-Tonalität heraus. Er ist Schlußthema kehrt er wieder dahin zurück - was für ein Parcours!
Mit „Miyako“ und „Black Nile“ hängt er zwei Wayne Shorter-Kompositionen hintereinander; ersteres eine Ballade, letzteres, eingeleitet von einem Schlagzeug-Solo, ein prächtiger swinger.
Von welcher Qualität der Flügel im Flagey Studio 4 zu Brüssel ist, stellt Fred Hersch in der Zugabe noch einmal solo heraus; it´s Blues time again, noch ein Monk, „Blue Monk“. Die Chromatik des Originals, die Stride-Piano-Rhythmik sind Steilvorlagen für die Fabulierkunst dieses Pianisten.
Gut, dass Stef Lenaerts und die seinen ihm und seinen Kollegen Mikrofone hingestellt hatten - es wäre uns eine Delikatesse entgangen.

Den Ruhm dieses Trios wird es mehren.

erstellt: 20.07.18
©Michael Rüsenberg, 2018. Alle Rechte vorbehalten