FRED HERSCH open book ********

01. The Orb (Hersch), 02. Whisper not (Benny Golson), 03. Zingaro (Jobim), 04. Through the Forest (Hersch), 05. Plainsong, 07. Eronel (Monk, Hakim), 08. And so it goes (Billy Joel)

Fred Hersch - p

rec. 01.11.2016 (4), 01.-03-04.2017

Palmetto PM 2186

Am 21. Oktober 2017 feiert er seinen 62. Geburtstag, vor ein paar Wochen ist seine Autobiographie erschienen („Good Things happen slowly: A Life in and Out of Jazz“), zeitgleich ein neues Solo-Album (das letzte erst vor 2 Jahren) - es ist nicht weit hergeholt zu sagen: Fred Hersch steht am Zenit seiner Karriere.
Mit dem Satz „I have been playing jazz for more than forty years“ umreißt er diesen Zeitraum, mit diesem Satz beginnt er die kurzen, informativen liner notes dieses Albums. Sie sprechen zugleich von Erfahrung, aber auch von Neubeginn.
Erfahrung insoweit, als Hersch den uralten Lehrsatz repetiert, er habe „entdeckt“, dass es im Jazz nicht darum ginge, das zu spielen, was man weiß, sondern zu Orten zu gelangen, „an denen man noch nie gewesen ist.“
Soweit so präzise, so banal die … Ästhetik des Jazz.
Anfangs sei er für diese Aufgabe zu ängstlich gewesen, habe sich wohl eingerichtet in der „Freiheit“, die daraus erwächst, dass man sich von Phrase zu Phrase bewege.
cover hersch open book„Through the Forest“ nun sei ein Beispiel für Improvisation ohne Netz und doppelten Boden sowie ohne vorbereitete Ideen; „ich bin dem gefolgt, wohin es mich trieb, bis es stimmig war, an einem bestimmten musikalischen und emotionalen Ziel anzukommen.“
Selbst ohne diese Erklärung wäre dem aufmerksamen Hörer die andersartige Struktur von „Through the Forest“ nicht entgangen. Das Stück wechselt, trotz bekannter Zutaten, häufig das Narrativ, schon nach dreieinhalb Minuten (von knapp zwanzig) kommt es in eine andere Dynamik, zwischen fünf und sechs perlen Läufe in für ihn unüblichen Tempi, und aller-allerspätestens bei 15:50 wecken harte Akkorde den unaufmerksamen Hörer, ob damit nicht schon ein neues Stück begonnen sei.
Nein, es ist lediglich die x-te unter zahlreichen Wendungen auf einem Solo-Parcours, wie ihn Fred Hersch noch nicht durchspielt, vielleicht muss man in seinem Sinne sagen „durchlebt“ hat.
Ein tolle Stück. Und man freut sich über die Bach´schen Anklängen im darauf folgenden „Plainsong“, über die Monk-Bearbeitung „Eronel“ und zum Abschluss die geradezu goldige Kantilene von Billy Joel´s „And so it goes“.

Die Programmierung hinter (und vor) dem zentralen „Through the Forest“ ist hinreissend, der Pianoklang betörend.
Jawohl, diese Stücke, oft Songs, haben Strukturen „Melodien, Akkordfortschreitungen, Formen“, wie er schreibt, und es gehe darin auf, diese Strukturen zu verschleiern, „musikalische Freiheit innerhalb von Grenzen“.
Zum Schluß dankt er dafür,dass wir mit „offenen Ohren“ zugehört haben. Haben wir sehr gern getan.

erstellt: 20.10.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten