VEIN plays Ravel ********

Le Tombeau de Couperin (Ravel):
01. Prélude, 02. Forlan, 03. Toccata
04. Blues, 05. Bolero, 06. Pavane pour une Infante défunte,  07. Mouvement de Menuet, 08. Five o´clock Foxtrot

Michael Arbenz - p, Thomas Lähns - b, Florian Arbenz - dr, Andy Sheppard - ss, ts (5,7), Martial In Al-bon - tp, flh (5), Florian Weiss - tb (5), Nils Fischer - ss, as, bcl (5), Noah Arnold - as, ts (5)

rec. 04/2017
Double Moon/Challenge DMCHR 71179


Schon mal was von Vein gehört?
Nicht?
Dabei ist das Trio von allen eidgenössischen Jazz-Ensembles - geographisch - uns am nächsten, es kommt aus Basel.
Es existiert seit 2006, es hat pro Jahr ein Album veröffentlicht, 11 soweit, u.a. mit den Gästen Greg Osby, Glenn Ferris und Dave Liebman (sogar zweimal), die meisten auf dem Schweizer Label Unit Records.
Wir haben Vein 2015 auf der „Leistungschau des Schweizer Jazz“ gehört, dem Schaffhauser Jazzfestival - eine ordentliche Performance, gut eingespielt, hohes Niveau der Interaktion, aber eben doch nicht so fordernd in Erinnerung geblieben wie die Klaviertrios von Colin Vallon und Florian Favre, vom selben Festival, aber auch von ihren Tonträgern; das erste mit einem ungemein lockeren Gestus, das zweite mit dem genauen Gegenteil, tough & funky.
Und jetzt, nachdem sie 2016 mit „The Chamber Music Effect“ gewissermassen Vorarbeit geleistet haben, machen sie das Dutzend voll, indem sie sich auf gut eingeführte melodische Expertise stützen:
„Vein plays Ravel“.
Das Resultat ist angenehm, ja überzeugend. Nachdem mit dem Meister des musikalischen Impressionismus der große Rahmen gesetzt ist, findet die Kleinmeisterei von Vein zahlreiche Ansatzpunkte für ihre Kunst der Variation.
Und man fragt sich, warum nicht des öfteren Jazzmusiker auf Maurice Ravel (1875-1937) zurückgreifen, zumal dieser in den liner notes zu dieser Veröffentlichung geradezu mit einer Steilvorlage zitiert wird:
„Niemand sollte die heutigen Rhythmen negieren. Meine gegenwärtige Musik ist angefüllt mit dem Einfluss des Jazz.“
Tatsächlich taucht der Bezug zu Ravel in der JC-Datenbank (mit mehr als zweieinhalbtausend CDs) allenfalls ein Dutzend Male auf, sein Schlachtross, der „Bolero“ (1928), ganze zweimal.
Selbstverständlich die Version von Frank Zappa, Rotterdam 1988, aus „The best Band you never heard in your Life“, ein Reggae, der sich formal nicht so viel herausnimmt.
Das tut umso mehr Jacky Terrasson, 1998 („what it is“), mit einem unglaublich fetten funk, eine Art Afro-Dub, der nicht wie das Original in 6/8 steht, sondern in 7/4 groovt, mit mächtigen Hancock-Perlen im E-Piano obenauf.
cover vein ravelDer „Bolero“ ist bei Vein sehr gut plaziert hinter „Blues“, aus Ravel´s Sonate für Violine und Klavier G-dur (1923-27), ein typisches Stück aus der in der Klassik so genannten Gattung der Jazzberries. Beschrieben wird damit, ausgehend von Louis Gruenberg´s gleichnamiger Komposition (1924), jazzinspirierte Kammermusik aus den 20er Jahren, worin europäische Komponisten wie Krenek, Hindemith, aber auch Schulhoff, Milhaud und eben auch Ravel ihre Eindrücke der neuen, aus Amerika über Paris und London herüberwehenden Gattung „Jazz“ verarbeiteten.
Ravel´s „Blues“ schwebt abstrahierend über den Formen der originalen Gattung, und auch Vein´s Zugriff erlaubt, obwohl rhythmisch akzentuiert, noch lange nicht den Begriff Groove.
Den Marsch-Charakter des Originals verteilt Vein raffiniert auf den Kontrabass von Thomas Lähns und das Piano von Michael Arbenz. Das Thema, bei Ravel in der Violine, bekommt Länz - und der artikuliert es überraschend mit einem doppelt gestrichenen Bass; vom Feeling her ein wenig wie bei den Beatles, „I´m the Walrus“.
Alle drei, insbesondere der Schlagzeuger Florian Arbenz, tänzeln in einer Art, die Ravel noch nicht kannte: mit kunstvoll gesetzten stop times.
Erst nach knapp drei Minuten geht Lähns auf seinem Instrument in die tiefen Register, umflirrt von flageoletts und dem agilen drummer.
„Bolero“ schließt ganz ähnlich mit der Rhythmusgruppe an, das Thema kommt rasch vom britischen Gast Andy Sheppard, ts. Arbenz, der Pianist, übernimmt, dann ist es an Lähns, den melodischen Bandwurm zu übernehmen. Es folgen die Gastmusiker an tp, as, tb, ss und noch einmal das ts von Sheppard, unterlegt mit nun sehr jazzmässigen Durchgangsakkorden vom Piano. So könnte das bis zum Ende, bis zu Minute 16 und 38 Sekunden weitergehen.
Bei 7:30 aber wirft Pianist Arbenz den Schalter um: die Jazz-Akkorde werden nun auf die Bläser verteilt, er selbst setzt zu einem mehrteiligen Solo an - und nun erstrahlt in voller Kraft & Tiefe, was die ganze Zeit über mehr angedeutet war: ein moderner Funk-Rhythmus, der nichts zu wünschen übrig lässt.
Oh ja, Ravel a la Vein groovt. Es folgen einige Kunststückchen mit dem Thema, das Kollektiv gibt crescendo Gas und beschleunigt abschließend in einen uptempo swing.
Darauf kann nur eine Abkühlung folgen, das wunderbare „Pavane…“ ruht sich rubato aus, mit einem Intro sowie einem outro auf der Kalimba.
Andy Sheppard kehrt noch einmal für das „Mouvement de Menuet“ aus der Sonatine für Klavier zurück, unterlegt auch hier von einem Kabinettstückchen der Rhythmusgruppe (JC zählt noch, ob der Bass sich hier auf zwei Takte a 5/4 verteilt).
Überhaupt die Rhythmusgruppe! Im Schweizer Jazz gehören sie - warum auch immer - durchgängig zu den Aktivposten. Wie Lähns & Arbenz, F. abschließend dem „Five 0´Clock Foxtrot“ den Trott austreiben, nämlich mit drum´n´bass-Anleihen, sprüht nur so von Esprit.

erstellt: 06.08.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten