That´s Jazz? - That´s Feuilleton! (15)

Es gab eine Zeit, da wurde DIE ZEIT gerne als "Alte Tante ZEIT" tituliert, mit dem Zusatz, der Kulturteil richte sich "an den Zahnarzt in Altena". Den Urhebern dieser Zuspitzung war sicher unbekannt, dass unter den Zahnärzten in Altena/Westfalen einer eine Zeitlang für ein verdienstvolles Jazzfestival verantwortlich war: Dr. Heinz Bonsack für das New Jazz Meeting Altena.
Das ist lange her. Und spätestens seit Giovanni DiLorenzo die Chefredaktion in Hamburg übernommen hat, ist die Berechtigung der altväterlichen Zuschreibung entfallen. Es sei denn, das ZEIT-Feuilleton beugt sich über den Jazz, da richtet es sich oftmals noch an die Zahnärzte in Altena (ausgenommen Heinz Bonsack).
Am 02.08. nimmt es diese verschüchterten Kreaturen an die Hand und führt sie mit der frohen Botschaft "Das Ende der Geschmacksdiktatur" in die Clubs und Bars von Berlin, wo sich "eine neue, vitale Jazz-Szene frei" spiele.
Musikalisch vermisst man vieles und erfährt wenig, was man nicht auch in Rest-Deutschland schon wusste, die "Alte Tante" hört halt selten richtig zu. Aber für die Sekundärfaktoren hat sie immer noch einen scharfen Blick.
Denn stellt Euch vor: die Klischees über den Jazz wollen gar nicht mehr stimmen!
"Sollte der Jazz nun doch bald sterben, gibt er vorher jedenfalls noch eine schöne Party".
"Zauselige Männer" lungern nicht mehr "endlos herum".
"Jazz darf wieder Spaß machen"; was Rest-Deutschland seit Jahrzehnten gar nicht mehr auffällt, ist endlich auch in der Hauptstadt angekommen: "Hauptgrund dafür: der Zuzug von Neuberliner Musikern und Publikum".
Die Jazzpolizei ist offenbar in Rente: "Jene knöcherne Riege von Funktionären und Vereinsmeiern, die Konzerte bartkraulend bemosern...."
Das Total Music Meeting (dessen Name der Autor nicht kennt) ist vergessen, vorbei die Zeiten, "als das selbst dünkelhafte und mittlerweile tatsächlich in Bedeutungslosigkeit versunkene Jazz-Fest noch ein Free-Jazz-Gegenfestival brauchte. Das Totschlagargument:  Kommerzverdacht. Unter amerikanischen Musikern undenkbar."
Stop. Kleines Gedankenspiel: welcher Autor, der, beauftragt vom Ressort Politik, mit einem solchen Blick durch das Regierungsviertel wackelte, würde die nächste Ausgabe der ZEIT noch überleben?

©Michael Rüsenberg, 2012. Alle Rechte vorbehalten