That´s Jazz? - That´s Feuilleton! (48)

Der Weg zu zwei „Wunderkindern“ mit dem Ziel „Zukunft des Jazz“ führt über einen Versuch von Pressezensur.
Nicht in Beijing oder Wuhan, sondern in Dallas bzw. Hamburg.
Im Feuilleton der ZEIT jubelt ein Autor (es ist - erneut - nicht der etatmäßige Jazzreporter Ulrich Stock) über eine publizistische Praxis, von der man gerne wüsste, ob die KollegInnen weiter vorne im Blatt, insbesondere in der Politik, diese genau so gutheißen:
„Zum ersten Mal in der Musikgeschichte entscheiden supertalentierte Jugendliche selbst über ihr öffentliches Bild“.
Die beiden Supernasen heißen DOMi (20, keyb) und JD Beck (17, dr).
Auf Instagram folgen ihnen „rund 200.00 Menschen“. Das sind - fasten seatbelts - „viermal so viele wie bei Till Brönner“ (und wir rechnen pfeilschnell: einhundertachtzehntausendsechshunderteinundfünfzig mal so viele bei Peter Brötzmann).
DOMi (nur echt mit den drei Versalien) kommt aus der Nähe von Nancy, JC Beck aus Dallas. Er „spielt sein Schlagzeug so raffiniert und dicht, wie das nicht nur bei Gleichaltrigen sonst nirgends zu hören ist“. (Wir ergänzen: die Jazzgeschichte muss umgeschrieben werden. Und zwar subito.)
„Zusammen ergibt das eine erstaunliche Musik: tiefenentspannt-hibbelig, ja auf nervöse Art zurückgelehnt“.
Mehr erfahren wir zur Musik nicht.
Die beiden haben kein Album veröffentlicht, seit zwei Jahren kursieren lediglich Videoschnipsel durchs Netz; ja „alle strotzen vor Noten“, ja sie werden vorgetragen „mit virtuoser Handwerklichkeit“.
Es ist eine Handwerklichkeit, die eher bei Orthopäden und Physiotherapeuten Erstaunen hervorruft als bei jenen, die je auch nur ein Ohr dem Verlauf der Jazzgeschichte gegönnt haben.
Hier könnte die Geschichte enden, legten die beiden „Nerds sind jetzt Helden“ nicht ein Verhalten an den Tag, das in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu ihrer Freigebigkeit im Netz steht.
Der ZEIT-Mann ist zu einem Video-Telefonat verabredet. Die beiden sind zu erreichen „in Dallas, wo sie den Lockdown bei Becks Eltern verbingen“. Dass sie um 13 Uhr Ortszeit die Kamera ausgeschaltet lassen wollen, der sie sich sonst mit Hingabe stellen - so what.
Aber, „direkt aus dem Gespräch zitieren kann dieser Text nicht“. So etwas kennt der deutsche Journalismus sonst nur aus dem auf nervöse Art zurückgelehnten Polit-Berlin.
In Dallas werden andere Vorgaben gemacht: „DOMi und Beck würden die Zitate nur freigeben, wenn sie den gesamten Artikel vor Veröffentlichung gegenlesen dürften, teilt ihre Managerin mit. Und bleibt hartnäckig“.
Wie gesagt, 13 Uhr Ortszeit Dallas. Und nicht 13 Uhr Ortszeit Beijing.

erstellt: 05.03.21
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