Eine Kopie ist kein Clone!

Jazz-Philosophen aufgepasst: dieses Phänomen schreit nach Deutung.
Die amerikanische Truppe Mostly Other People Do The Killing, bekannt für ihren Übermut, hat diesen nun vollends ins Kraut schießen lassen und Miles Davis´ berühmtes Album "Kind of Blue" (1959) nachgespielt - Ton für Ton!
Die Idee dazu hatten sie seit 10 Jahren in ihren Köpfen:
"Wir wollten in die Musik hineinkriechen, um herauszufinden, was sie so bedeutend macht", erklärt der MOPDTK-Bassist Matthew Elliott. "Es stellte sich heraus, dass einzelne Noten weniger interessant sind als die Art, In der sie gespielt werden müssen."
Waitaminute, ist das nicht die Essenz des Jazz:
der Triumph des Wie über das Was?
Und, ist das nicht eine Binsenweisheit?
MOPDtK Blue COVERMOPDTK nahmen für diese Erkenntnis etlichen Aufwand in Kauf. Sie mussten so im Studio arbeiten, wie seinerzeit Miles & Co, inkl. des Bandrauschens, und: "Beim geringsten Fehler mussten wir neu aufnehmen" (Elliott).
Das finale Produkt ist nach einigen Problemen dann doch neuzeitlich entstanden: ernst nahm man die Rhythmusgruppe auf, danach die Bläser einzeln, wobei Jon Irabagon die Rollen von John Coltrane (Tenor) und Cannonball Anderley (alt) übernahm.
Nein, die original liner notes haben MOPDTK nicht übernommen, sondern sie drucken stattdessen - schlaue Kerlchen, die sie sind - einen Essay von Jorge Luis Borges aus dem Jahre 1962 ab, der ein ganz ähnliches Vorgehen im Literarischen zum Thema hat ("Pierre Menard, Author of the Quixote").
Jimmy Cobb, der einzige noch Lebende des Original-Sextetts, sagte: "Diese Burschen sind beschlagen - ich dachte zunächst, wir wären das selbst -, aber ich kann das Menschliche nicht heraushören, den individuellen Sound das Feeling, das ich damals hatte."
Aber klar, "wenn diese Burschen so viel Zeit auf sich nahmen, dann muss die Sache ihnen was wert sein."
Ethan Iverson von The Bad Plus, der in seinem Blog Do The Math wie immer ganz genau hinhört, meint:
"MOPDTK swingen nicht auf Blue. Nicht wirklich, vor allem Baß und Schlagzeug nicht".
Aber so schlimm findet er das nicht und das ganze Projekt gar nicht mal so übel:
"Die Frage ´wie kann man swingen wie Paul Chambers und Jimmy Cobb?´ wird auf Blue nicht zufriedenstellend beantwortet. Zumindest aber wissen wir nun mehr über diese Frage als vorher."
Eine Kostprobe aus Blue, nämlich den All Blues, kann man hier probehören.

erstellt: 22.10.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten